Die Ergebnisse der Europawahlen, bei denen die Grünen-Politiker überraschend stark abschnitten, waren nur das jüngste Zeichen dafür, dass sich die Einstellung der Europäer zu Umweltfragen ändert.
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Eine Umfrage des Forschungszentrums Pew am Jahresanfang ergab, dass der Klimawandel heute in den meisten europäischen Ländern als die größte globale Bedrohung angesehen wird und sogar die Gefahr des ISIS-bezogenen Terrorismus übertrifft.
Demnach dürften Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG), die bei den großen institutionellen Investoren in Europa zunehmend relevanter werden, künftig auch das Anlageverhalten der Retail-Investoren wesentlich stärker beeinflussen. In diesem Fall dürften regulatorische Änderungen, die bald von der Europäischen Kommission eingeführt werden, eine entscheidende Rolle spielen.
Umfragen deuten darauf hin, dass die meisten Privatanleger sicherstellen wollen, dass sich ihre Werte auch bei ihrer Geldanlage widerspiegeln. Leider geschieht dies derzeit nur allzu selten: Das liegt vor allem daran, dass so wenige Finanzberater ihre Kunden fragen, ob sie irgendwelche ESG-Präferenzen haben, geschweige denn, ob sie möchten, dass sich diese in der Beratung oder in ihren Investments im Portfolio widerspiegelt. Paradoxerweise scheint es, dass Berater nicht nach den ESG-Präferenzen ihrer Kunden fragen, weil sie von ihnen nicht erwähnt werden. Und die Kunden erwähnen keine ESG-Präferenzen, weil der Berater nicht nach ihnen fragt. Die Europäische Kommission beabsichtigt, diese absurde Situation anzugehen und entsprechende Vorschriften einzuführen. Folglich würde in Zukunft das Verständnis der ESG-Präferenzen eines Kunden im gesamten Prozess der von Beratern durchgeführten Eignungsprüfung enthalten sein.
Mit Inkrafttreten stellt die Gesetzesvorschrift sicher, dass Berater ihre Kunden nach ihren ESG-Präferenzen befragen und dieser Aspekt in ihre angebotene Anlageberatung integriert werden soll. So müssen Berater beispielsweise auf die genannten ESG-Präferenzen ihrer Kunden eingehen, wenn sie erläutern, wie sie zu ihren Anlageentscheidungen gekommen sind oder auch wenn sie die Art und das Risiko ihrer vorgeschlagenen Vorgehensweisen beschreiben. Darüber hinaus müssen die Richtlinien und -prozesse innerhalb der Beratungsunternehmen aktualisiert werden, so dass diese ein Verständnis der jeweiligen ESG-Präferenzen ihrer Kunden nachweisen können.
Mit anderen Worten, es wird nicht mehr möglich sein, eine Eignungsprüfung durchzuführen, ohne dass ESG-Kriterien Teil des Gesprächs sind. Natürlich haben nicht alle Kunden ESG-Präferenzen oder sie priorisieren andere Aspekte ihrer Ziele. Aber zumindest werden sie gefragt. Wir begrüßen diese Vorschläge sehr und sind überzeugt, dass die EU-Kommission große Anerkennung verdient. Abgesehen davon muss sie sicherstellen, dass die Gesetzesvorschrift im Einzelnen richtig ist: Soll sie doch sicherstellen, dass die Kunden entsprechend ihrer Präferenzen die größtmögliche Auswahl an Optionen erhalten.
Derzeit definiert der Gesetzentwurf die ESG-Präferenzen als "die Wahl eines Kunden oder potenziellen Kunden, ob und welche ökologisch nachhaltigen Investitionen, sozialen Investitionen oder Investitionen in gute Regierungsführung in seine/ihre Anlagestrategie integriert werden sollen". Nachhaltige Investitionen sind wiederum eng definiert als Investitionen in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zu einem Umweltziel beitragen.
Die derzeit ausgearbeitete Gesetzesvorschrift geht davon aus, dass alle Kunden mit ESG-Präferenzen ausschließlich daran interessiert sind, das Engagement ihres Portfolios für wirtschaftliche Aktivitäten zu erhöhen, die zu einem ökologischen oder sozialen Ziel beitragen, einer guten Regierungsführung unterliegen und diesen Zielen nicht schaden.
Wir sind der Meinung, dass die Definition von nachhaltigen Investitionen zwar mit den ESG-Präferenzen einiger Anleger übereinstimmen mag, es aber ein viel breiteres Spektrum an Präferenzen gibt, die bei der Eignungsprüfung berücksichtigt werden sollten. Beispielsweise müsste sie eine ganze Palette nachhaltiger Investmentansätze umfassen, einschließlich Negativ-Screening, Stewardship und Impact Investments. Darüber hinaus sind wir überzeugt, dass Investoren sehen wollen, welche Auswirkungen ihre Anlagestrategie auf die reale Welt hat.
Die meisten Kunden mit ESG-Präferenzen wollen ihren Einfluss nutzen, um positive Ergebnisse in der Realwirtschaft zu begünstigen - wie Änderungen in den Investitionsentscheidungen der Beteiligungsgesellschaften - und erwarten Belege für die Wirksamkeit der verwendeten Anlagetechniken. Unserer Meinung nach sollte die Definition der ESG-Kriterien vom Kunden hergeleitet werden, unterstützt durch Berater oder Instrumente, um mögliche Optionen zu skizzieren und zu erklären, was diese für den Kunden bedeuten – und nicht durch eine engere Definition dessen, was nachhaltige Investitionen bedeuten könnten.
Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass ESG-Faktoren, insbesondere die mit dem Klimawandel verbundene, für viele in unserer Gesellschaft wichtig sind, allen voran für die Millennials-Generation. Darüber hinaus wünschen sich viele der Privatanleger, dass sich ihre Werte in den Unternehmen widerspiegeln, für die sie ihr Geld ausgeben und denen sie ihr Kapital anvertrauen. Allerdings sind sich einige nicht darüber bewusst, dass sie durch ihre Pensionen und Investitionen maßgebliche Aktionäre von Unternehmen sind, die sich auf alle Aspekte des täglichen Lebens auswirken. Es ist ihr Geld.
Privatanleger wussten lange Zeit nicht einmal, dass es ihnen möglich ist, entsprechend ihrer ESG-Präferenzen zu investieren, denn es wurde für sie kein entsprechender Rahmen hierfür geschaffen. Sicherzustellen, dass Kunden nach ihren ESG-Präferenzen gefragt werden und sie in einem Gespräch darüber mit ihrem Berater diskutieren können, wie ihr Geld angelegt werden soll, ist ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung des Umfelds für Privatanleger bei ESG-Investments.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf der Website von Responsible Investor publiziert.
Autoren

Steve Waygood
Chief Responsible Investment Officer
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