COVID-19 hat Investoren in Erinnerung gerufen, wie wichtig in Krisenzeiten defensive Positionen in Portfolios sind. Aber sind die „sicheren Häfen“ von einst der Aufgabe noch gewachsen?
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Während des Corona-Crashs im März geschah etwas ganz Unerwartetes. Marktteilnehmer waren völlig perplex, als sich US-Staatsanleihen – normalerweise die verlässlichsten defensiven Anlagen – alles andere als verlässlich zeigten.
Während der S&P 500-Index Mitte März innerhalb weniger Tage um rund 30 Prozent einbrach, stiegen die Renditen dreißigjähriger US-Treasuries deutlich an. Und der Preis von Treasury-Futures koppelte sich von den zugrunde liegenden Anleihen ab, während die Liquidität vor allem für die nicht erst kürzlich emittierten Anleihen dahinschmolz.
Schnell gab es viele Erklärungen dafür, die meisten konzentrierten sich auf die umfangreichen Zwangsverkäufe: angefangen von Schwellenländernotenbanken, die zur Verteidigung ihrer Währung US-Dollar brauchten, über Fonds, die wegen Fondsanteilsrückgaben Vermögenswerte verkauften, bis hin zu Investoren, die stark gehebelte Strategien – etwa Risk Parity – auflösten, um Margin Calls nachzukommen.1
Dies wirft einige grundlegende Fragen auf, etwa: Auf welche sicheren Häfen zur Absicherung von Portfolios kann man sich in der Zukunft überhaupt noch verlassen?
Die Grenzen von 60/40
Der Zusammenbruch der Korrelation von Aktien und Anleihen war, das ist wichtig anzumerken, nicht von Dauer. Durch die konzertierten Aktionen der Zentralbanken einschließlich umfangreicher Wertpapierkäufe haben sich die Märkte wieder normalisiert. Dennoch war der Schutz durch Anleihen laut James McAlevey, Head of Rates bei Aviva Investors, in dieser Krise im Vergleich zu früheren Phasen deutlich geringer. In der Vergangenheit haben Anleihen, wenn Aktien um 30 Prozent fielen, viel stärker zugelegt als diesmal. Das hängt mit dem ohnehin renditeschwachen Umfeld zusammen und der schwächer ausgeprägten Fähigkeit von Staatsanleihen, Risiken zu reduzieren.
Auch wenn sich institutionelle Investoren zuletzt zunehmend weg von börsennotierten Aktien und Anleihen und hin insbesondere zu Private Assets orientiert haben, machen Aktien immer noch den größten Anteil in ihren Portfolios aus. Zur Absicherung suchen Investoren oft nach Engagements in Staatsanleihen, entweder über physische Anleihen oder Swaps. Der größte, liquideste und transparenteste Markt ist der für US-Staatsanleihen, was sich auch in den Investments widerspiegelt. Investoren haben sich aber auch Staatsanleihen anderer Länder zugewandt – je nach Risikoneigung, was die Währungen angeht. Nun sind sie aber mit einer weiteren Dimension von Unsicherheit konfrontiert, denn sie wissen nicht, ob die seit langem verfolgte Strategie weiterhin funktioniert, da Regierungen auf der ganzen Welt in Reaktion auf COVID-19 ihre Ausgaben hochfahren (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Corona-Konjunkturpakete als Anteil am BIP

Diversifizierung der Sicherheit
Portfoliomanager müssten nach anderen Möglichkeiten suchen, Risiken zu managen
Wenn letztlich Korrelationen je nach Art der Krise in unterschiedlicher Weise zusammenbrechen, könnten die traditionellen sicheren Häfen ihre Aufgabe vielleicht nicht mehr erfüllen. Portfoliomanager müssten nach anderen Möglichkeiten suchen, Risiken zu managen. Das war schon lange vor COVID-19 ein Problem, wird nun aber immer relevanter, da einige Strategien ihre Eigenschaften als sicherer Hafen verloren haben. Ein Beispiel sind japanische Staatsanleihen.
Die Bank of Japan hat 2016 als erste Zentralbank auf die Steuerung der Zinsstrukturkurve gesetzt. Ziel einer solchen Geldpolitik ist es, für einen bestimmten Punkt auf der Zinskurve ein bestimmtes Renditeniveau zu erreichen, umgesetzt wird das vor allem durch den Kauf (und Verkauf) von Anleihen zu einem entsprechenden Preis.
„Seit die Zinsstrukturkurve letztlich durch die Bank of Japan festgelegt wird, reagieren japanische Staatsanleihen nicht mehr auf Risk-Off-Events. Daher taugen sie nicht mehr für die Portfolioabsicherung“, erklärt Mark Robertson, Head of Multi-Strategy Funds bei Aviva Investors. Auch bei Bundesanleihen mit Negativzinsen zeichne sich dieser Trend schon ab. Man könne sich nun fragen, ob das im nächsten Schritt auch für US-Staatsanleihen gelten werde. „Sie sollten daher anfangen, über andere Möglichkeiten zum Schutz von Portfolios nachzudenken.“
Ob die US-Notenbank Japan und Europa folgen wird und die Zinsen in den negativen Bereich fallen lässt, ist noch unklar, der Terminmarkt im Mai hat schon einen Leitzins unter null eingepreist.2 Konsequent gegen einen solchen Schritt ausgesprochen hat sich Jerome Powell, der derzeitige Chef der US-Notenbank. Der ehemalige Fed-Chef Alan Greenspan erklärte jedoch vergangenes Jahr, es sei „nur eine Frage der Zeit“, bis die USA negatives Terrain betreten würden.3 US-Staatsanleihen würden dann als Instrument zur Risikoreduzierung wohl nochmals unattraktiver.
Die Antwort könnte nicht mehr in einer bestimmten Anlageklasse liegen
Mehr und mehr könnte die Antwort (auf die Frage nach Absicherung) nicht mehr in einer bestimmten Anlageklasse liegen, sondern einer Kombination unterschiedlicher Strategien, die das sich im Laufe der Zeit ändernde gewünschte Maß an Widerstandsfähigkeit bieten.
Gold könnte zum Beispiel attraktiver werden. Da Gold keine Zinsen abwirft, haben einige Investoren in der Vergangenheit in einem Umfeld hoher Kapitalmarktzinsen auf eine Goldanlage verzichtet. Dieses Argument spielt allerdings – mit Zinsen an der Nullschwelle in den größten Volkswirtschaften – keine so große Rolle mehr (siehe Abbildung 2). Wenn sich Investoren um die Inflation sorgen, eignen sich Gold oder inflationsgebundene Anleihen möglicherweise besser zum Schutz von Portfolios als herkömmliche Anleihen.
Abbildung 2: Goldpreis versus Rendite von inflationsgeschützten US-Staatsanleihen

Dollar versus Yen
Der US-Dollar war in den letzten Monaten, wie während vieler Krisen in der Vergangenheit, ein Hort der Stabilität. Allerdings sind die mittel- bis langfristigen Aussichten für den US-Dollar wegen des Spannungsfelds von umfangreichen finanzpolitischen Maßnahmen und geldpolitischer Expansion sehr unsicher.
Sollten japanische Investoren ihre Assets wieder ins Heimatland zurückholen, könnte der Yen steigen.
In früheren Risk-Off-Phasen hat sich der japanische Yen gegenüber dem Dollar gut entwickelt, das könnte sich nun wiederholen. Das Sparaufkommen Japans ist extrem hoch, ein beträchtlicher Teil davon wird im Ausland investiert. Sollten in der Phase der Risikoaversion japanische Investoren ihre Assets wieder ins Heimatland zurückholen, könnte der Yen gegenüber dem US-Dollar steigen.
In den vergangenen Monaten war das zwar nicht unbedingt der Fall, mehr als an fundamentalen Gründen liegt das aber wohl an einer veränderten Anlagepolitik des japanischen Government Pension Investment Fund GPIF, des mit 1,5 Billionen US-Dollar größten Pensionsfonds der Welt.
Eine verlässlichere Strategie war eine Long-Position im Yen gegenüber dem australischen Dollar, der in der Vergangenheit stärker mit dem MSCI World korreliert war als andere Währungen. Eine solche Strategie kann eine wirksame Absicherung gegen Einbrüche an den Aktienmärkten sein, da sich der Yen dann wahrscheinlich gegenläufig entwickelt.
Volatilität als Anlageklasse
Laut Patrick Bartholet, Multi-Strategy Portfolio Manager und Derivatives Trading Specialist bei Aviva Investors, kann auch eine Long-Position in Volatilität dazu beitragen, Portfolios gegen starke Aktienmarkteinbrüche abzusichern. Zwar verschleiern die Maßnahmen der Zentralbanken die für die Aktienmärkte relevanten Fundamentaldaten mittlerweile und haben die Volatilität wieder sinken lassen, eine Garantie dafür, dass das so weitergeht, gibt es aber nicht.
„Investoren sind fest davon überzeugt, dass die Fed bei einer Gefährdung der Marktstabilität alles Erforderliche tun kann. Das ist hochgefährlich“, erklärt Bartholet. Er verweist als Beispiel für ein früheres Versagen von Notenbanken auf den „Black Wednesday“ 1992, als George Soros erfolgreich gegen die Bank of England spekulierte.
Scheitert die Politik der Fed, kann Sie nur eine Long-Volatility-Strategie retten
„Scheitert die Politik der Fed, kann Sie nur eine Long-Volatility-Strategie retten, denn dann könnten Aktien, Treasuries und der US-Dollar gleichzeitig fallen“, bemerkt Bartholet. „Mit Long-Positionen in Volatilität kann man wohl noch am ehesten an Liquidität kommen, wenn man sie am meisten benötigt. Warum? Ist der Markt unter Stress, suchen gestresste Investoren nach einer Lösung und sind bereit, viel Geld für Absicherungsstrategien zu bezahlen. Hält man eine Long-Hedge-Position, gelangt man schnell an Liquidität.“
Allerdings können Long-Volatility-Strategien teuer sein, Investoren haben in der Vergangenheit gezögert, für eine vor allem langfristig angelegte Absicherung gegen Tail-Risiken zu zahlen. Auch die Umsetzung ist komplex und kann eine breite Palette von Instrumenten umfassen, wie Puts, Straddles, Variance Swaps und Volatility Swaps.
Alles ist relativ
Entscheidend für den Aufbau von Widerstandsfähigkeit ist Flexibilität. „Es ist enorm wichtig zu verstehen, wie sich Strategien in unterschiedlichen Marktumfeldern zueinander verhalten“, stellt Andy Ford, Senior Investment Director im Multi-Strategy-Team von Aviva Investors, fest. Der Zugang zu einem breiteren Spektrum an defensiven Strategien – einschließlich Relative-Value-, Währungs- und Yield Curve-Strategien – könnte tragfähige und korrelationsarme Wege bieten, Portfolios vor Marktverwerfungen zu schützen.
Ein Beispiel für einen Relative-Value-Trade, der sich in jüngster Zeit als richtig erwiesen hat, ist die Übergewichtung von Unternehmen mit starken Bilanzen gegenüber dem US-Nebenwerteindex Russell 2000. Der deutliche Ertragseinbruch, den große Teile des Aktienmarktes nun erleben werden, wird die für den Russell 2000 typischen Unternehmen mit hohem Verschuldungsgrad im Vergleich zu den besser ausgestatteten Unternehmen besonders treffen.
Abbildung 3: Strategie Good Balance Sheet (starke Bilanzen) versus Russell 2000 im Vergleich zu globalen Aktien

COVID-19 hat Investoren daran erinnert, dass Schocks von allen Seiten kommen können
COVID-19 wird uns noch viele Lektionen erteilen. Schon jetzt wurden Investoren daran erinnert, dass Schocks von allen Seiten kommen können. Vorherzusagen, woher eine Krise kommt, ist schwierig. Von entscheidendem Vorteil ist aber die Absicherung des Portfolios – und Verständnis dafür, wie sich Anlagen in Stresszeiten verhalten.
Die Dynamik der Weltwirtschaft und ihrer Treiber entwickeln sich weiter. Auch unser Verständnis über das Funktionieren sicherer Häfen sollte nicht stehenbleiben. Vielleicht funktionieren Save Haven nicht mehr wie früher, ein bisschen Diversifizierung mit unterschiedlichen sicheren Häfen dürfte daher nicht schaden.