Dürren und Wasserknappheit hat man bisher eigentlich mit den ärmsten Ländern der Welt assoziiert. Mittlerweile bekommen auch die Volkswirtschaften von Ländern der mittleren Einkommensgruppe (Middle Income Countries) die Auswirkungen von Extremwetterereignissen zu spüren. Diese Entwicklung verändert die Rahmenbedingungen für Anleger, sagt Will Ballard.

Als die FIFA 2007 bekannt gab, dass Brasilien Gastgeberland der Fußballweltmeisterschaft 2014 sein würde, sah Präsident Lula da Silva eine Chance für sein Land. Hohe Rohstoffpreise, Kapitalzuflüsse aus dem Ausland, der steigende Real und niedrige Inflation bescherten Brasilien ein Wirtschaftswachstum von sieben Prozent pro Jahr, und es gab keine Anzeichen für eine Konjunkturabkühlung. Lula da Silva wollte die Fußballweltmeisterschaft dazu nutzen, der Weltgemeinschaft stolz den neuen Wohlstand in Brasilien zu präsentieren.
Brasilien hat geschätzte USD 12 Mrd. für die Vorbereitungen auf die Weltmeisterschaft ausgegeben, rund USD 4 Mrd. davon wurden verschwenderisch in den Bau oder die Modernisierung von zwölf Stadien investiert. Am meisten Aufsehen erregt hat vielleicht die Arena da Amazônia in Manaus. Sage und schreibe USD 300 Mio. flossen in dieses Bauvorhaben mitten im brasilianischen Regenwald. Drei Arbeiter starben beim Bau dieses Stadions mit 40.000 Plätzen, in dem nur vier Spiele ausgetragen wurden.1
Diese enorme Fehlinvestition war nicht der einzige politische Fehler, den Brasilien im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft gemacht hat. 2014 hatte die brasilianische Regierung, nun unter der Führung von Dilma Rousseff, bereits ein Haushaltsproblem. Mit dem Ende des Superzyklus am Rohstoffmarkt konnten die verschwenderischen Ausgaben nicht mehr aus Exporten finanziert werden. Zu allem Überfluss wurde gegen die brasilianische Regierungschefin auch noch wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt. Das Ausscheiden der brasilianischen Mannschaft bei der Weltmeisterschaft im Sommer mit einer 7:1-Niederlage im Spiel gegen Deutschland hatte Symbolcharakter: Die brasilianische Erfolgsgeschichte fand ein abruptes Ende.
Aufziehender Sturm
Doch ein Risiko hatte in diesen ganzen Turbulenzen niemand auf der Rechnung – eine Änderung der Wetterverhältnisse. Die ersten Anzeichen des Wetterphänomens El Niño beobachteten Fischer vor der südamerikanischen Küste: Die rückläufige Pazifikzirkulation, die kaltes nährstoffreiches Wasser aufsteigen lässt, dezimierte die Fischbestände in ihren Fischgründen. Diese periodische Erwärmung des Oberflächenwassers im gesamten Pazifikraum sollte weitreichende klimatische Auswirkungen für die globale Temperatur- und Niederschlagsentwicklung haben.
El Niño tritt alle zwei bis sieben Jahre auf und bedeutet für Brasilien heißere, trockenere Perioden. In den Jahren 2014 und 2016 hatte dieses Wetterphänomen Auswirkungen bisher nie da gewesenen Ausmaßes. Mit der dadurch verursachten Trockenheit kam es zu Engpässen in der Wasser- und Stromversorgung. Der steigende Klimatisierungsbedarf hatte den Energieverbrauch sprunghaft ansteigen lassen. Wasserkraftwerke fielen wegen der niedrigen Wasserstände als Energielieferanten aus. Auf ihrem Tiefststand hatten die vier Wasserreservoire im Paraiba-System, aus dem sich die Trinkwasserversorgung für Rio de Janeiro speist, nur noch Wasserreserven von einem Prozent ihrer Kapazität. Ein absolutes Novum.2
Die Landwirtschaft hat mit über 70 Prozent den größten Anteil am Wasserverbrauch. Es ist daher wenig überraschend, dass dieser Sektor stark unter der Dürre zu leiden hatte. Die Maisproduktion fiel 2014 um 26 Prozent, die Zuckerrohrproduktion um 12 Prozent. Die Ernteerträge bei Soja, einem der wichtigsten Exportgüter der Landes, gingen um 17 Prozent zurück.3 Bei Kaffeebohnen lagen die Ernteausfälle mit einem Rückgang um acht Prozent im Jahr 2014 und weitere fünf Prozent im Jahr 2015 in einer ähnlichen Größenordnung.4
Der Inflationsanstieg während des El Niño-Zeitraums ging mit einem Kurseinbruch am Aktienmarkt einher
Nach Jahren als eine der wachstumsstärksten Volkswirtschaften weltweit erlebte Brasilien die schwerste Rezession seiner Geschichte. Die Inflation kletterte auf über zehn Prozent, die Teuerungsrate bei Nahrungsmitteln sogar auf 17 Prozent. Das BIP schrumpfte um 5,5 Prozent. Der Wechselkurs brach ein. Die Abbildung unten zeigt den Inflationsanstieg während des El Niño-Zeitraums, der mit einem Kurseinbruch am brasilianischen Aktienmarkt im Vergleich zu anderen Schwellenländern einherging.
Abbildung 1: Brasilianischer Verbraucherpreisindex; MSCI Brazil und MSCI EM Index im Vergleich

Türkei und La Niña
Brasilien war indes nicht das einzige Land, das von solchen Extremwetterereignissen betroffen war. Gewissermaßen das Gegenstück zu El Niño, der südlichen Oszillation, ist La Niña. Während es durch El Niño zu einer überdurchschnittlich starken Erwärmung des Oberflächenwassers im Pazifik und damit zu heißeren, trockeneren Phasen in Südamerika kommt, bringt La Niña Hitze und Trockenheit in anderen Teilen der Welt, unter anderem in der ebenfalls zu den Ländern der mittleren Einkommensgruppe zählenden Türkei.
Wie in Brasilien gab es auch in der Türkei Prestigeprojekte, die zu Milliardengräbern wurden. Das augenfälligste dieser Projekte ist mit einem Investitionsvolumen von USD 12 Mrd. der neue Istanbuler Flughafen, der 2018 eröffnet wurde. Aktuell wird eine neue Landebahn gebaut, trotz der Folgen der Corona-Pandemie für den internationalen Flugverkehr.
Bei der Kreditaufnahme der Türkei ist trotz des rückläufigen Außenhandels ein alarmierender Anstieg zu beobachten
Zwischen März und Oktober 2020 hat die türkische Regierung eigenen Verlautbarungen zufolge USD 6 Mrd. in Infrastrukturprojekte im eigenen Land investiert.5 Und wie in Brasilien sieht sich auch die ausgabenfreudige türkische Regierung unter Präsident Erdogan mit einer wachsenden Finanzierungslücke im Staatshaushalt konfrontiert. Bei der Kreditaufnahme ist trotz des rückläufigen Außenhandels ein alarmierender Anstieg zu beobachten.
Auch die Trockenheit ist nicht folgenlos geblieben. In den türkischen Metropolen herrscht Wasserknappheit. Am dramatischsten ist die Situation in Istanbul, der mit 16 Millionen Einwohnern größten Stand des Landes. Schätzungen vom 13. Januar 2021 zufolge reichten die Wasserreserven bei aktuellem Verbrauch nicht einmal mehr für 50 Tage.6 Die potenziellen Auswirkungen von Engpässen in der Wasserversorgung in einem Land mit ohnehin schon schwacher Konjunktur sind unübersehbar.
Wie in Brasilien ist der Inflationsanstieg eines der klarsten Anzeichen für wirtschaftliche Turbulenzen. Im Dezember 2020 ist die Inflation auf knapp 15 Prozent gestiegen, bei Nahrungsmitteln und nicht alkoholischen Getränken betrug die Teuerungsrate sogar mehr als 20 Prozent. Parallel dazu entwickelt sich der türkische Aktienmarkt schwächer als die Aktienmärkte in anderen Schwellenländern (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Türkischer Verbraucherpreisindex; MSCI Turkey und MSCI EM Index im Vergleich

Klimarisiko
Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge sind 3,2 Milliarden Menschen in ländlichen Regionen von Wasserknappheit betroffen. Die UN-Nachhaltigkeitsziele sehen für alle Menschen Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen vor. Dessen ungeachtet sind die Süßwasserreserven in den vergangenen zwanzig Jahren pro Person um 20 Prozent gesunken, bei weiter steigender Nachfrage.7
Am Beispiel Brasiliens und der Türkei wird deutlich, welche handfesten Konsequenzen diese Entwicklungen für Länder der mittleren Einkommensgruppe haben. Die Lage in diesen Ländern ist umso beunruhigender, als Extremwetterereignisse durch den Klimawandel häufiger auftreten.
Der El Niño bringt mit dem Klimawandel schwerere Dürren und Fluten
El Niño und La Niña sind zwar grundsätzlich natürliche Phänomene, der menschengemachte Klimawandel verschärft jedoch ihre Auswirkungen. Einer in Proceedings of the National Academy of Sciences in den USA veröffentlichten neueren Studie zufolge bringt El Niño mit dem Klimawandel schwerere Dürren und Fluten.8 Und dennoch verfolgen die am stärksten davon in Mitleidenschaft gezogenen Staaten weiter eine Politik der Umweltzerstörung. Unter dem aktuellen Präsidenten Jair Bolsonaro ist die Abholzung des Regenwaldes stark ausgeweitet worden.