Die Zukunft ist ungewiss, dazu kommen die Komplexität der Anlagemärkte und die individuellen Bedürfnisse jedes Einzelnen. Für alle, die in den Ruhestand gehen wollen, ist es extrem schwierig, dieser "Unsicherheit zu trotzen".
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Für die, die sich auf den Ruhestand vorbereiten, ist es in einem ersten Schritt hilfreich, das Problem an etwas Konkretem festzumachen: also etwa zu prüfen, wie viel Geld "reicht", um die heutigen Bedürfnisse zu befriedigen. Dann kann man weiter gehen und fragen: „Wie sieht es aus mit den Zielen von morgen?" Dieser Teil ist unweigerlich schwieriger, da die Zukunft fünf Jahre oder über fünf Jahrzehnte umfassen könnte. Von diesen Eckpunkten aus können Anleger aber anfangen zu planen und nach Wegen zu suchen, um ihre Ziele zu erreichen.
Für die, die für den Ruhestand sparen, und für die, die vielleicht schon aus dem Beruf ausgeschieden sind, werden in diesem Beitrag einige der Hindernisse thematisiert, mit denen Anleger auf dem Weg zum Erreichen ihrer Ziele konfrontiert sein können. Es geht darum, warum Risiken und Erträge von Investments nicht gleich den Risiken und Erträgen eines Investors sind. Es geht auch darum, wie der Fokus auf nachhaltige und wachsende Erträge die Wahrscheinlichkeit eines langfristigen Erfolgs erhöht und wie der Aufbau eines Portfolios nach dem Bottom-up-Ansatz über die Zeit zur Optimierung der Anlagerergebnisse beitragen kann.
Risiko: mehr als Volatilität
Das beliebteste Maß für das Anlagerisiko ist Volatilität – also das Ausmaß von Schwankungen im Preis eines Vermögenswerts. Ein weiteres verbreitetes Maß ist die Streuung, wie stark Anlagerenditen also im Durchschnitt variieren. Für sich genommen, erfassen diese Messgrößen aber nicht die praktischen Überlegungen, mit denen sich Investoren auseinandersetzen müssen; zum Beispiel das Risiko, im Ruhestand nicht genügend Einkünfte oder Kapital zur Verfügung haben.
In seinem Buch „Deep Risk: How History Informs Portfolio Design“ liefert der zum Anlageberater gewordene Neurologe William Bernstein einen interessanten neuen Blick auf das Thema. Er unterteilt Risiko in zwei Kategorien: „geringes Risiko" und „großes Risiko". Das geringe Risiko lässt sich nicht vermeiden. Es führt zu einem Kapitalverlust, von dem sich der Anleger recht schnell wieder erholen kann – wie etwa von den jüngsten Turbulenzen („flash crashs“). Das große Risiko ist viel schlimmer und hat einen dauerhaften Kapitalverlust zur Folge. Bernstein nennt in dieser Kategorie Vernichtung, Beschlagnahme, Inflation und Deflation als Beispiele.
Vernichtung durch Kriege, Naturkatastrophen oder staatliche Eingriffe wie eine unerwartete Besteuerung oder Beschlagnahmung von Vermögen sind erfreulicherweise eher selten, und die Auswirkungen können durch Investitionen in ein diversifiziertes globales Portfolio gemindert werden. Auch anhaltende Deflation mit sinkenden Vermögenswerten gibt es in den heutigen Zeiten kaum, Ausnahme ist Japan. Inflation ist in der Tat das mit Abstand größte Risiko für einen Anleger. Als Gegenmittel plädiert Bernstein für global diversifizierte Aktienportfolios.
Die Idee dahinter ist die, dass das Risiko gestreut wird und erfolgreiche Unternehmen, wenn die Inflation sich verfestigt, die Effekte an ihre Kunden weitergeben können. Umsatz und Gewinn steigen dann, so ergibt sich eine wirksame und simple Absicherung gegen Inflation. Aktien haben den Vorteil, dass sie dauerhaft gehalten werden können, so dass Anleger über Jahre hinweg von Dividenden profitieren können – ein guter Ausgleich für das Langlebigkeitsrisiko.
Allerdings geht ein wachstumsorientierter Ansatz mit Problemen hinsichtlich des Anlegerverhaltens einher. Für die meisten Anleger ist es schwierig, Volatilität auszuhalten. Sie werden nervös, wenn der Wert ihres Vermögens sinkt und tendieren dazu, zu ungünstigen Zeitpunkten zu verkaufen. Daher erzielen „durchschnittliche“ Anleger durchwegs unterdurchschnittliche Renditen.
In den zwanzig Jahren bis Ende 2014 brachte der S&P 500 beispielsweise durchschnittlich 9,85 Prozent im Jahr ein, während der durchschnittliche Investor eines Aktienfonds nur 5,19 Prozent schaffte1. Über zwei Jahrzehnte sind die Auswirkungen daraus enorm. Wenn Sie sich überlegen, was dies für das Gesamtrenteneinkommen Einzelner bedeutet, macht das sehr deutlich: Kurzfristige Kursfluktuationen können eher emotionale Anleger in den langfristigen Ruin führen.
Das Sequence-of-Returns-Risiko überleben
Investoren, die im Ruhestand regelmäßig bestimmte Summen aus ihrem Portfolio entnehmen, könnten letztlich genau dann verkaufen, wenn der Markt am Boden ist, sogar wenn die Rendite weit unter der durchschnittlichen langfristigen Rendite des Portfolios liegt. Das könnte zu einem dauerhaften Kapitalverlust führen. Dieses Risiko wird als Sequence-of-Returns-Risiko bezeichnet.
Über den idealen Weg, Vermögenswerte aus langfristigen Ersparnissen in laufende Erträge umzuwandeln, wird heftig gestritten. Nobelpreisträger William Sharpe bezeichnet es als „das schlimmste und schwierigste finanzielle Problem“. Die Krux für Investoren ist die, dass zukünftige „Unbekannte“ – etwa die Renditeentwicklung – zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen können (siehe unten).


- Die Reihenfolge der Erträge zählt.
- Entnimmt man Gelder aus einem beispielhaften Portfolio, das in den S&P 500 investiert ist (grün dargestellt) kann das im Vergleich zu einem Portfolio mit Renditen in umgekehrter Reihenfolge (blau dargestellt) zu erheblich abweichenden Ergebnissen führen.
- Beachten Sie die Unsicherheit – die Ergebnisse auf der rechten Seite sind völlig anders.
Ein möglicher Weg zur Verringerung des Sequence-of-Returns-Risikos besteht darin, einen Langfristblick zu entwickeln: auf die sorgfältige Kombinationen solcher Vermögenswerte, die Anlegern laufende Einkünfte liefern und die über die Inflation hinaus langfristig wachsen können. Von entscheidender Bedeutung sind dabei die Einkommensmerkmale jedes Vermögenswertes für sich und in der Kombination.
Ein sorgfältig zusammengestelltes Multi-Asset-Portfolio mit einem hohen Anteil an Wachstumswerten wie Aktien von Unternehmen mit beständiger Umsatzentwicklung sowie Sachanlagen und hochverzinslichen Anleihen kann eine Lösung sein. Die Idee ist, dass aus den Wachstumskomponenten (etwa aus der hohen Aktienallokation) und den laufenden Einkünften ein Motor für kraftvolles Wachstum entsteht. Der Anleger kann von den Charakteristika der unterschiedlichen Anlageklassen profitieren, während die auflaufenden Erträge den Spartopf vergrößern. Letztendlich kann der Sparer, wenn sein eigenes Einkommen aus der Berufstätigkeit abnimmt, echtes Ertragseinkommen beziehen (also Erträge in Form von Dividenden und Anleihezinsen, ohne das zugrunde liegende Kapital anzugreifen).
Der Zinseszinseffekt: Das Wunder wachsender Einkünfte
Es ist bekannt, dass Albert Einstein den Zinseszinseffekt als achtes Weltwunder bezeichnete, und auch hier sprechen die Zahlen für sich.
Betrachten wir ein fiktives Portfolio von 1 Million Euro mit stabilen Renditen von 5 Prozent über 30 Jahre2. Werden Gebühren und Steuern außen vor gelassen, wäre es nach 30 Jahren auf 4 Millionen Euro angewachsen. Ergänzt man jedoch eine Wachstumskomponente zum Ertragsstrom, werden die Zahlen überwältigend.
Bei einem Portfolio von 1 Million Euro mit einer Rendite von 5 Prozent, bei dem die Erträge jedes Jahr um 5 Prozent wachsen und reinvestiert werden, ergäbe sich im selben Zeitraum ein Portfolio im Wert von mehr als dem Doppelten des Portfolios ohne Wachstum (8,8 Millionen Euro). In der Praxis bedeutete dies Erträge von 420.000 Euro im dreißigsten Jahr.
Es ist davon auszugehen, dass ein Portfolio, dessen effektive Rendite sich im Laufe der Zeit erhöht, in Zukunft einen höheren Wert haben wird3. Angenommen, die anfänglichen Vermögenswerte behalten so viel Wert, dass sie in den letzten zwölf Monaten eine Rendite von 5 Prozent abwerfen, ergibt sich ein Gesamtwert des Investments von fast 17,5 Millionen Euro mit Einkünften von fast 800.000 Euro allein im letzten Jahr.

Die Suche nach nachhaltigen Erträgen
Die Frage ist, wo die besten Vermögenswerte mit nachhaltigem Ertragspotenzial in Verbindung mit der Tendenz zu langfristigem Ertragswachstum zu finden sind – insbesondere, da die Renditen in absoluten Zahlen und im historischen Vergleich in den meisten Anlageklassen niedrig sind.
Entscheidend ist, über ganz viele verschiedene Vermögenswerte und mit Bottom-up-Ansatz nach Chancen zu suchen und die Ertragsmerkmale im Auge zu behalten. Zum Beispiel:
- Hochverzinsliche Schwellenländeranleihen (EMD) können am Anfang zwar ertragsmäßig attraktiv sein, Potenzial auf Ertragszuwächse gibt es aber nicht, da die Anleihekupons im Voraus bestimmt werden.
- Eine Investition in börsennotierte Immobilienunternehmen (REITs) kann moderate Erträge bringen und hat etwas Potenzial auf künftiges Ertragswachstum.
- Aktien aus entwickelten Märkten können eine niedrige Anfangsrendite aufweisen, haben aber bessere Aussichten auf einen Anstieg der Erträge.
Entscheidend ist, dass diese Möglichkeiten zusammengenommen zu einem Ergebnis führen können, das in der Summe besser ausfällt als die einzelnen Komponenten für sich genommen.
„Nachhaltig" kann in diesem Zusammenhang zwei Bedeutungen haben: im Sinne der langfristigen Auswirkungen auf unsere Erde und das Potenzial jeder Anlage, Jahr für Jahr Erträge zu bringen. Wenn ein Anleger diese Herausforderungen direkt angeht, wird es klarer, mit welchen Anlageerträgen er in Zukunft rechnen kann (erzielt aus den echten Erträgen ohne den Verkauf von Vermögenswerten).
Nachhaltigkeit bedeutet unserer Ansicht nach, dass Investitionen in solche Unternehmen herausgefiltert werden sollten, in denen Geschäftspraktiken und die Aussicht darauf, langfristig Cashflows zu generieren, gefährdet sind. Ein praktischer Weg für die Umsetzung ist die Anwendung des von den globalen Ratingagenturen entwickelten Rahmens. Diese berücksichtigen bereits Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken (ESG). Allerdings gilt es zu beachten, dass nicht alle Märkte vollständig abgedeckt sind.
Der Ansatz nachhaltiger Erträge sollte es langfristigen Anlegern ermöglichen, letztlich unnötige Sorgen über kurzfristige Preisschwankungen beiseite zu schieben. Diese dürften eben nur von kurzer Dauer sein. Stattdessen liegt der Fokus auf nachhaltigen Ertragsströmen. Und so bietet dieser Ansatz für die, die wissen, wie man Renditeperspektiven für unterschiedliche Anlageklassen beurteilt, möglicherweise eine Lösung für das „schlimmste und schwerwiegendste Problem finanzieller Vorsorge“.

- Mehr Chancen in einem großen Anlageuniversum.
- Mehr Klarheit über zukünftige Erträge – durch das Verständnis und die Kombination der besonderen Eigenschaften.
- Chance auf Zusammenstellung von Vermögenswerten mit hohen Renditen über die Laufzeit, aber ohne das Potenzial auf Ertragswachstum (z. B. EMD, in gelb) und solchen mit niedrigen Anfangsrenditen, aber höherem Potenzial auf Wachstum (z. B. Aktien aus Industrieländern, in dunkelblau), in unterschiedlichen ertragsorientierten Kombinationen.
Bottom-up: für Zuversicht in einer unsicheren Welt
Außerhalb der klaren Welt mathematischer Modelle können unerwartete Ereignisse das Leben aus den Angeln heben. Wie kann es also gelingen, dass sich Rentner von morgen sicherer fühlen bezüglich der von ihnen für die Zukunft erwarteten Erträge aus ihren Investments?
„Jede Anlageklasse hat spezifische Eigenschaften“, erklärt Portfoliomanager Francois de Bruin. „Und nur wenn man diese spezifischen Ertragstreiber auf Ebene der einzelnen Vermögenswerte versteht, können bessere Portfolios aufgebaut werden. Die Idee ist, die besten Ertrags- und Ertragswachstumscharakteristika zu kombinieren, um so die Unsicherheit in Bezug auf die langfristige Gesamtrendite zu verringern. Wenn Sie viele Möglichkeiten und viel Flexibilität haben, können Sie ganze Anlageklassen und Sektoren ausschließen, die die entsprechenden Nachhaltigkeitsmerkmale nicht erfüllen. Sie können sich auch von der Masse wegbewegen und sich darauf konzentrieren, wirklich robuste Portfolios aufzubauen - indem Sie sich ausschließlich auf Nachhaltigkeit konzentrieren.“
Die Unsicherheit in Bezug auf langfristige Erträge zu verringern kann heißen, auf die wenigen globalen Unternehmen zu setzen, die es seit über einem Jahrzehnt geschafft haben, die Dividenden stetig zu steigern und auf jüngere Unternehmen, die ein Gewinnwachstum erwarten lassen. Der Zugang zu Immobilien über REITs generiert inflationsbereinigte Einkünfte ohne hohe Anfangskosten und Probleme mit der Immobilienverwaltung. Ergänzt werden können zudem einige sorgfältig ausgewählte Hochzinsanleihen mit guten Fundamentaldaten und Mehrerträgen deutlich über US-Staatsanleihen.

- Das Wachstum der Erträge und Veränderungen in der Bewertung bestimmen das Kapitalwachstum.
- Die Sicherheit hinsichtlich dieser Faktoren ist unterschiedlich hoch und je nach Anlageklasse anders.
- Wenn man sich auf die fundamentalen Treiber von Renditen auf der individuellen Ebene jedes Einzelwertes konzentriert, kann die Sicherheit über die Ertragsentwicklung steigen.
Fazit
Die Auseinandersetzung mit großen Risiken wie Inflation und Unsicherheiten, etwa wie viele Lebensjahre man noch vor sich hat, macht die Altersvorsorgeplanung extrem komplex. Entgegengewirkt werden kann dem durch eine präzise Kombination von ertragsbringenden Vermögenswerten, mit denen die Jahre jenseits der Erwerbstätigkeit finanziert werden können. Vermögenswerte, die dauerhaft gehalten werden können und gegen Inflation schützen, können zusammen mit höher verzinslichen Anleihen den Ertragsstrom verbessern und erweitern und den Zeitpunkt verschieben, an dem ein Sparer möglicherweise auf den Kapitalstock zurückgreifen muss. Wenn gleichzeitig noch die Nachhaltigkeit berücksichtigt wird, schafft das mehr Sicherheit über die künftigen Erträge auf dem Weg ins Rentenalter.
Quellen und Fußnoten
- Quantitative Analysis of Investor Behavior, DALBAR, Inc. 2016. https://www.qidllc.com/wp-content/uploads/2016/02/2016-Dalbar-QAIB-Report.pdf
- Wichtige Annahmen zur Veranschaulichung: ein Portfolio im Wert von 1 Million Euro vollständig investiert, mit einer Rendite von 5 Prozent pro Jahr über 30 Jahre, alle Erträge reinvestiert, vor Abzug von Gebühren und Steuern.
- Wenn die Erträge jedes Jahr um 5 Prozent steigen und vollständig reinvestiert werden, liegt die effektive Rendite des Portfolios nach 30 Jahren bei 20,58 Prozent. Der Wert des Ganzen dürfte dann viel höher liegen als im ersten Jahr, da die Investition erheblich mehr Erträge bringt als zu Beginn. Diese Abbildung zeigt 4,1-fache Erträge.