In den Augen von Vaidehee Sachdev und Matt Kirby ist es für Anleger und die gesamte Finanzwelt an der Zeit zu erkennen, wie wichtig es ist, der gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen, und welche Vorteile dies bringen kann.
Dieser Artikel informiert Sie über:
- Die Rolle von Unternehmen im Kampf gegen soziale Ungleichheit
- Belege für die Wirkung von besseren Arbeitsbedingungen
- Die Frage, ob Anleger zu einer gerechteren Welt beitragen und dabei ihren Renditeerwartungen gerecht werden können
Weisen Unternehmen, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen, eine überdurchschnittliche Wertentwicklung auf? Können sie mit ihren Aktivitäten allen nützen, Gewinne generieren und die Gesellschaft verbessern? Diese komplexen Fragen beschäftigen die akademische Welt und Autoren von Investment-Literatur seit Jahren, sind jedoch im Zuge der Coronapandemie stärker in den Fokus gerückt.
In unserem Gespräch mit Vaidehee Sachdev (VS), Social Pillar Lead und Impact Analyst bei Aviva Investors, und Matt Kirby (MK), Fondsmanager mit dem Schwerpunkt „sozialer Wandel“, erörtern wir die Herausforderungen von Anlagen, die darauf abzielen, die Welt besser zu machen und die Gesellschaft positiv zu verändern.
Hat der Finanzsektor bislang die Augen vor ausbeuterischen Praktiken von Unternehmen verschlossen?
VS: Die sozialen Auswirkungen unternehmerischen Handelns zählen zu den größten blinden Flecken im Finanzsektor. Bekanntermaßen gibt es sowohl in den Industriestaaten als auch in den Entwicklungsländern untragbare gesellschaftliche Ungleichheiten, und Millionen von Menschen haben keinen Zugang zu grundlegenden Rechten und Ressourcen. Zum Teil liegt das natürlich auch daran, dass die betreffenden Staaten ihren Bürgern keinen angemessenen Lebensstandard bieten, doch auch die Unternehmen und Märkte haben versagt.
Es ist weder effizient noch gesund, wenn große Teile der Bevölkerung in Armut arbeiten, keinen Zugang zu grundlegenden Ressourcen haben oder Rechte am Arbeitsplatz regelmäßig verwehrt werden.
MK: Der US-Ökonom James Galbraith vergleicht Einkommensungleichheit mit hohem Blutdruck. Beides wirkt sich auf das Allgemeinbefinden aus und kann Vorbote für Schlimmeres sein, das aber verhindert werden kann, wenn rechtzeitig reagiert wird. Maßnahmen gegen Ungleichheit können sich dagegen positiv auswirken, die soziale Mobilität und das Wohlbefinden verbessern, die Produktivität erhöhen und das Wachstum steigern.
In welcher Form muss der soziale Wandel stattfinden?
VS: Wenn wir von der Notwendigkeit eines sozialen Wandels sprechen, geht es um die Abkehr vom „Weiter so“. Unternehmen und der Finanzsektor müssen künftig für ihre negativen Auswirkungen auf Menschen und die Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Neben den Unternehmen spielen hierbei auch die Anleger eine Rolle.
Die Forderungen nach einem sozialen Wandel sind klar umrissen: gerechte Entlohnung von Arbeit, Achtung der Menschenrechte und Zugang zu grundlegenden Leistungen, um ein würdevolles Leben zu gewährleisten. Werden diese Aspekte jedoch ignoriert, können die Folgen verheerend sein.
Warum richtet sich die Aufmerksamkeit der Anleger erst jetzt auf die soziale Wirkung?
VS: Eine der häufigsten Begründungen ist, dass „sozial“ nur schwer definiert werden kann. Dieses Argument sollte aber inzwischen hinfällig sein, da es im Grunde um die Menschenrechte geht.
Ein Hauptargument ist, dass soziale Faktoren schwer messbar sind
Des Weiteren wird oft angeführt, dass soziale Faktoren schwer messbar sind. Dabei gilt es lediglich, die Research-Methoden anzupassen. Beispielsweise müssen verstärkt qualitative Informationen beschafft werden. Das kann zeitaufwändig und arbeitsintensiv sein, trägt aber dazu bei, ein vollständigeres Bild über ein Unternehmen zu erhalten.
MK: Die gesellschaftliche Wirkung ist schwer zu beziffern, doch dieses Problem kann durch ein anderes Mindset überwunden werden, indem der Gewinn als Ergebnis und nicht als Ziel betrachtet wird. Wissenschaftliche Studien belegen zunehmend, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der sozialen Performance und der langfristigen finanziellen Performance gibt.
Wie ausführlich ist das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen in deren Abschlüssen dokumentiert?
VS: Die Berichterstattung der Unternehmen zu sozialen Themen ist in der Regel unzureichend. Als Entschuldigung wird oft angeführt, dass es hierfür keine standardisierten Vorlagen und Rahmenwerke gibt. Doch das wird sich bald ändern. Die EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) wird Unternehmen zum Beispiel standardisierte Messgrößen an die Hand geben, die in den Abschlüssen Anwendung finden müssen. In den USA hat die Börsenaufsicht SEC ebenfalls eine Offenlegungspflicht für humankapitalbezogene Informationen in Betracht gezogen.
Wir hoffen, dass Vorgaben auf EU-Ebene Unternehmen veranlassen werden, ausführlicher über ihre Auswirkungen auf Menschen zu berichten
Wir hoffen, dass die EU-Richtlinie Unternehmen veranlassen wird, ausführlicher über ihre Auswirkungen auf Menschen zu berichten.
MK: Wir bewerten, ob die Unternehmen tatsächlich im Interesse ihrer Kunden handeln. Des Weiteren befassen wir uns auf breiter Ebene mit dem Management des Humankapitals und der Produktivität. In Zeiten, in denen immaterielle Vermögenswerte vermutlich über drei Viertel des Marktwerts des S&P 500 ausmachen, dürfen wir das Humankapital nicht ausblenden.
Da jedes Unternehmen einen anderen Mix aus Chancen und Risiken aufweist, ist es daher schwierig, eine allgemein anwendbare Messgröße zu finden.
Wie messen Sie den sozialen Wert und beurteilen, wer ihn geschaffen hat?
VS: Bei börsennotierten Gesellschaften hinterfragen wir, ob die Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in den unseres Erachtens für sie wichtigsten Bereichen nachgekommen sind. Wir nutzen ein von der World Benchmarking Alliance entwickeltes Rahmenwerk zur Beurteilung, ob Unternehmen einen tragfähigen Ansatz im Bereich der Menschenrechte verfolgen, menschenwürdige Arbeitsbedingungen bieten und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Hierzu zählt auch, dass sie angemessene Steuern zahlen. Wichtig – aber oft nur schwer erhältlich – sind auch Daten zu den Outcomes, also zu den direkten Wirkungen.
Wir erwarten, dass mehr Unternehmen umfassendere Informationen über ihre Lieferketten bereitstellen werden
MK: Wir stützen uns auf die Arbeit von Hunderten NGOs und unabhängigen Datenanbietern, die analysieren, welche Branchen oder Unternehmen nachhaltige oder nicht nachhaltige Aktivitäten verfolgen. Diese Informationen werden der Finanzwelt kostenlos zur Verfügung gestellt. Doch wenn es um die Verbesserung der Entscheidungsfindung geht, werden diese Daten entweder übersehen oder nicht systematisch genutzt. Das ist verschwenderisch und aus finanzieller Sicht wohl verantwortungslos. Die Informationen sind vielfältig und manchmal unstrukturiert, sodass ein rein quantitativer Ansatz nicht möglich ist. Bei genauerer Betrachtung können die Daten indes durchaus aufschlussreich sein, vor allem im Vergleich zu einem Ansatz, der sich nur auf Finanzdaten konzentriert.
Inwieweit fließen die Researchergebnisse in die Anlagestrategie ein?
MK: Unser Ansatz basiert auf sehr detailliertem Research. Wir berücksichtigen, welche Interessengruppen am stärksten von den Geschäftsaktivitäten des Unternehmens betroffen sind und was dieses unternimmt, um negative Auswirkungen zu vermeiden oder zu beheben.
In einem ersten Schritt schließen wir Unternehmen aus dem Anlageuniversum aus, die eindeutig gegen wichtige internationale Standards und Normen verstoßen haben. Investitionen in diese Unternehmen würden das Kapital unserer Kunden gefährden.
Wir stellen Informationen aus verschiedensten Datenquellen zusammen, um unsere Einschätzung in Bezug auf ein Unternehmen zu untermauern
Des Weiteren ist unser Schwerpunkt „sozialer Wandel“ von Bedeutung: Dabei machen wir Unternehmen ausfindig, die beim Management ihrer sozialen Auswirkungen bereits gute Arbeit leisten, von uns jedoch ermutigt werden könnten, noch weitere Schritte zu unternehmen. Wir suchen Unternehmen, die in unseren drei Themenbereichen – Menschenrechte, menschenwürdige Arbeit und verantwortungsvolles Verhalten – bewährte Praktiken aufweisen. Hierfür stellen wir Informationen aus verschiedensten Datenquellen zusammen, um unsere Einschätzung in Bezug auf ein Unternehmen zu untermauern.
Unser Schwerpunkt „Lösungen“ konzentriert sich auf Unternehmen, die Menschen dabei unterstützen, Zugang zu grundlegenden Ressourcen und Leistungen zu erhalten. Unser Fokus liegt hierbei auf dem Zugang zu Bildung, Gesundheit und finanziellen Ressourcen bzw. der Bereitstellung entsprechender Leistungen. Aus Anlegersicht handelt es sich um spannende Bereiche.
Wovon wird die Performance der Strategie abhängig sein?
MK: Für die Berechnung des inneren Werts eines Unternehmens werden die zukünftigen Cashflows geschätzt und auf die Gegenwart abgezinst. Wir gehen davon aus, dass Unternehmen mit guten Governance-Praktiken und sozialen Rahmenbedingungen mit höherer Wahrscheinlichkeit nachhaltige und verlässliche Cashflows erzielen. Unser Prozess sieht eine strenge Bewertung dieser Kriterien vor. Investments in Unternehmen, deren Fokus nicht nur auf der Gewinnerzielung, sondern auch auf der sozialen Performance liegt, zahlen sich im Grunde nur für langfristig orientierte Anleger aus, da es in der Regel Jahre dauert, bis sich Investitionen im Sinne der Interessengruppen in der finanziellen Performance niederschlagen.
Wie werden Sie Einfluss auf Unternehmen nehmen, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkommen? Sind Sie bereit, diese Positionen zu veräußern?
VS: Der Erfolg dieser Art von Strategie wird zum Großteil von unserer Einflussnahme auf die Unternehmen abhängig sein, da wir nicht erwarten können, dass wir nur durch die Kapitalallokation eine direkte Wirkung erzielen können. Darin wird die eigentliche Stärke dieser Strategie liegen, denn kein Unternehmen ist perfekt.
Der Erfolg dieser Art von Strategie wird zum Großteil von unserer Einflussnahme auf die Unternehmen abhängig sein
Wir erwarten von den Unternehmen, dass sie durch einen soliden und durchdachten Due-Diligence-Prozess ihrer Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte nachkommen. Wenn wir diesbezüglich oder in anderen Bereichen keine Fortschritte erkennen können, werden wir als letztes Mittel die Position veräußern.