Alte Annahmen zur traditionellen Beziehung zwischen Schwellenmarktanleihen und dem Dollar werden in Frage gestellt, schreibt Liam Spillane.

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Es kann für Investoren verlockend sein, sich auf die etablierten Beziehungen in Märkten zu verlassen. Beispielsweise kam es im letzten Jahrzehnt häufig zu Aktienmarktrallys, wenn Zentralbanken geldpolitische Anreize gaben. Hingegen kam es zu Verkäufen, wenn das politische Umfeld als weniger vorteilhaft angesehen wurde.
Historisch gesehen hat es schon immer eine starke Wechselbeziehung zwischen dem US-Dollar und Schwellenmärkten gegeben. Investoren haben sich im Allgemeinen auf das folgende Szenario verlassen können: ein starker US-Dollar führte zu schwachen Aktien- und Anleihenmärkten in Schwellenländern. Eine regelrechte Büchse der Pandora wurde geöffnet, die unter anderem Folgendes auslösen konnte: Kapitalflucht, steigende Schuldenquoten, höhere Inflation und schwächere Landeswährungen; all dies konnte eine restriktive Geld- und Währungspolitik erforderlich machen. Bei einem fallenden Dollar wurde der Deckel der Büchse geschlossen und die Aktien- und Anleihenmärkte in Schwellenländern nahmen im Allgemeinen aufgrund der attraktiven strukturellen Eigenschaften von Schwellenländern und der daraus resultierenden Kapitalzuflüsse an Wert zu.
Wie jedoch bei allen Beziehungen gibt es Aufs und Abs und die Faktoren, die angenommene Zusammenhänge antreiben, können sich abschwächen oder verschärfen. Auch wenn es nicht notwendigerweise zu einem anhaltenden oder gar permanenten Bruch in der Beziehung zwischen dem Dollar und Schwellenmärkten kommen muss, weisen die jüngsten Entwicklungen unserer Meinung nach darauf hin, dass der Dollar mittlerweile eine weniger dominante Rolle in dieser Beziehung spielt.
US-Notenbank drückt auf die Bremse
Schauen wir uns zunächst den dominanten Partner in dieser Beziehung an. Bis zum Jahresende war die US-Notenbank auf dem festen Weg, die Geld- und Währungspolitik zu normalisieren. Die Rahmenbedingungen haben sich jedoch geändert, da eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums weltweit als besorgniserregend angesehen wurde. Chinas Wachstum von 6,6 % für das Jahr 2018 war die niedrigste jährliche Wachstumsrate seit 1990, Italien befindet sich in einer Rezession und Deutschlands Rate liegt nur knapp über 1,0 %. Darüber hinaus musste auch aufgrund des weiterhin ungelösten Handelsstreits zwischen China und den USA das weltweite BIP-Wachstum um (bisher) einige Zehntelprozentpunkte nach unten korrigiert werden.
Folglich hat die US-Notenbank ihr Quantitative Tightening (restriktive Geldpolitik) vorübergehend ausgesetzt und die Europäische Zentralbank wird wohl keine weiteren Zinserhöhungen bis 2020 vornehmen. Ängste vor einem Liquiditätsengpass sind zurückgegangen oder zumindest verschoben worden, was dazu geführt hat, dass festverzinsliche Anlageklassen vorteilhafter angesehen werden. Dies hat wiederum bereits 2019 erhebliche Kapitalzuflüsse in Schwellenländeranleihen ausgelöst. China hat ebenfalls die geldpolitischen Anreize erhöht, wobei laut einigen Schätzungen über 8 Billionen Yuan (1 Billion US-Dollar) bereits in den ersten drei Monaten dieses Jahres in das Finanzsystem gepumpt worden sind.1
Ein solch unsicherer Hintergrund hat sich dämpfend auf den Anstieg des Dollars ausgewirkt. 2018 nahm der Dollar gegenüber den meisten anderen Währungen der Industrie- und Entwicklungsländer im Wert zu. Wesentliche Treiber waren starkes Wirtschaftswachstum und der daraus resultierende sogenannte „amerikanische Exzeptionalismus“, der in erster Linie auf die von der Trump-Administration Ende 2017 implementierten Steuersenkung zurückzuführen war.
In diesem Jahr hat sich jedoch das fundamentale Umfeld des Dollars geändert. Das US-Wachstum verlangsamte sich (von 4,2 % jährliches BIP-Wachstum im zweiten Quartal 2018 auf 2,2 % im vierten Quartal). Darüber hinaus spielt der dramatische Steuersenkungseffekt mehr oder weniger keine Rolle mehr, Zinserhöhungen wurden auf Eis gelegt und sowohl die Haushalts- als auch die Leistungsbilanzdefizite werden in Kürze wohl wieder steigen.
Unter anderem wegen des amerikanischen Exzeptionalismus haben globale Investoren Geld in die US-Vermögensmärkte gepumpt, was zur derzeitigen Überbewertung des Dollars geführt hat. Da dies zu einem Zeitpunkt geschehen ist, zu dem Absicherungskosten gestiegen sind, sollte vielleicht eine ausgeglichenere Perspektive angewandt werden.
Eine weitere schwelende Entwicklung hat ebenfalls den vorherrschenden sicheren Status des Dollars (möglicherweise) in Frage gestellt. Eine sich verschlechternde Haushaltslage, Trumps Steuersenkungsgeschenk und Chinas seit kurzem erkennbare Abneigung gegenüber US-Staatsanleihen haben alle zu einer schwächeren Nachfrage beigetragen.
Diese Faktoren lösen unter Umständen keine Dollar-Börsenbaisse aus und sollten mit der Anerkennung der historischen Abwehrmaßnahmen der Währung sowie ihres abnormal hohen Ertragswerts im Vergleich zu G10-Währungen abgeschwächt werden. Sie können jedoch eine fortgesetzte Dollar-Stärke verhindern und den Schwellenmarktwährungen die notwendige Stabilität geben, insbesondere da die Kapitalmarktzinsen der Industrieländer weiterhin niedrig sind. Während Deutschland und Japan extreme Fälle darstellen, mit unwesentlichen nominalen und negativen realen Zinsen, sind die in Schwellenländern angebotenen Zinsen zumindest oberflächlich betrachtet attraktiv.
Schwellenmärkte stehen auf eigenen Füßen
Im Gegensatz zu den Industrieländern, die eher Fragezeichen aufwerfen, haben Schwellenländer in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Fortschritte im Bereich wirtschaftlicher und finanzieller Reformen gemacht. Auch wenn sie keinesfalls immun gegenüber der US-Stimmung und dem Dollar sind, sind sie mittlerweile wesentlich widerstandsfähiger. Die Fundamentaldaten erweisen sich als stabil – in bestimmten Fällen sogar leicht verbessert – und die wirtschaftlichen Wachstumsraten sind solide. Die Schuldenstandsquoten sind gesunken und die Leistungsbilanzsalden steigen (insgesamt gesehen) allgemein an.
China steht auch weiterhin offensichtlich im Rampenlicht. Es ist jedoch wichtig, nicht aufgrund von wirtschaftlichen Neuigkeiten überzureagieren und stattdessen auf die jüngste Schwäche im Kontext längerfristiger Trends und struktureller Reformen zu schauen. Chinas strategische und geopolitische Bedeutung, sowohl regional als auch auf internationaler Ebene, wird weiter zunehmen. Dies muss zusammen mit dem nachweislichen Wunsch der chinesischen Regierung, ihre strukturellen Ziele umzusetzen, betrachtet werden. Wir gehen davon aus, dass dies angesichts des Umfangs ihrer Ressourcen und der politischen Struktur mit hoher Wahrscheinlichkeit geschehen wird.
Regionale Handelsblöcke, wie ASEAN in Südostasien und Mercosur in Südamerika, bieten Schutz durch die Stimulierung des interregionalen Handels, wodurch die Abhängigkeit der Länder von der amerikanischen und chinesischen Mega-Volkswirtschaft abgeschwächt wird. Die treibenden Kräfte einer wachsenden und wohlhabenden Mittelklasse, steigende Einkommen und positive Demographien sind noch immer in vielen Teilen des Schwellenmarktuniversums erkennbar.
Diese Dynamik hat regionsübergreifend zu erheblichen Portfolio-Zuflüssen geführt und zu Beginn dieses Jahres eine Rally auf den Anleihen- und Aktienmärkten der Schwellenländer ausgelöst, nachdem 2018 für beide Anlageklassen nicht so gut gelaufen war.
Die Schwellenmarkt-Investorenbasis ist ebenfalls reifer geworden, und lokale inländische Anleger machen nun einen größeren Anteil aus. Dies hat auf Schwellenmärkten zu einem kontinuierlichen und entscheidenden Schritt in Richtung der Verschuldung in lokaler Landeswährung geführt. Dies war ein teilweise bewusster Versuch von staatlichen und Unternehmens-Emittenten, ihre Abhängigkeit von der Dollarfinanzierung zu verringern. Außerdem reflektiert diese Entwicklung zunehmend liquide Anleihenmärkte in lokaler Landeswährung und Vertrauen seitens der Investoren in diese Märkte. Lokale Anleihenmärkte sind folglich erheblich im Wert gestiegen und weisen eine größere Anzahl von Emittenten auf.
Die Schulden von Entwicklungsländern sind als Folge in den letzten Jahren wirtschaftlich stabiler und eigenständiger geworden, was wiederum Interesse bei größeren globalen Institutionen hervorgerufen hat, deren strukturelle Zuweisungen erhebliches Wachstumspotential mit sich bringen.
Wie bereits erwähnt, weisen Schuldtitel von Entwicklungsländern jedoch bestimmte Verwundbarkeiten auf. Wir müssen uns nur die jüngsten Ereignisse in der Türkei und in Argentinien ansehen, wo wirtschaftliche und politische Turbulenzen zu extrem hohen Zinssätzen geführt haben, als die Länder versuchten, ihre Währung zu schützen. Wir sahen dies im letzten Jahr sowie auch in den letzten paar Wochen. Bisher haben die Ereignisse in diesen beiden Ländern jedoch nur geringe Auswirkungen auf andere Wachstumsmärkte gehabt. Beide Länder gelten als Beispiele dafür, wie die Anlageklasse der Schwellenländeranleihen gereift und stärker geworden ist.
Ungeahnte Möglichkeiten trotz vorhandenem Risiko
Angesichts einer langen Geschichte von hochgradig korrelierten Entwicklungen in einigen Bereichen des Anlageuniversums sollten Investoren nicht selbstzufrieden werden. Zwar weist die historisch enge Beziehung zwischen dem Dollar und den Schulden der Entwicklungsländer manchmal Zeichen einer Änderung auf, doch ein plötzlicher Anstieg des Dollars oder eine Fortsetzung des „Quantitative Tightening“ der US-Notenbank ebenso wie eine globale Rezession können auch weiterhin Risiken für die Anleger bedeuten. Darüber hinaus sind Argentinien und die Türkei aufgrund ihrer hohen Schulden und eines geringen Wirtschaftswachstums auch weiterhin gefährdet.
Es ist jedoch mehr eine Frage der Stufe. Es ist unsere begründete Ansicht, dass das potentielle Risiko und der Einfluss eines sektorübergreifenden Ansteckungseffekts durch negative Makrofaktoren gesunken sind. Vielleicht sterben Beziehungen nie, aber sie können sich mit Sicherheit verschlechtern. Und das entstandene Vakuum kann zur Folge haben, dass sich zuvor betroffene Anlageklassen nun positiv entwickeln. Genau so verhält es sich bei den Schulden von Schwellenländern.