James Tarry und Luke Layfield beurteilen, wie sich die derzeitige Marktvolatilität auf Real Assets auswirkt, und erklären, warum sich das Jahr 2023 für Multi-Asset-Anleger als besonders chancenreich erweisen könnte.
Dieser Artikel beschäftigt sich mit folgenden Themen:
- Welchen Einfluss haben Inflation und Zinsentwicklung auf die Real Assets-Märkte?
- Warum wir auf der Suche nach dem Fair Value derzeit eine Phase der Preisfindung durchlaufen
- Warum sich 2023 attraktive Gelegenheiten für Investoren mit überschüssiger Liquidität ergeben könnten
Zum Jahresauftakt 2023 sehen sich Anleger in Real Assets mit schwierigen Bedingungen konfrontiert. In der Ukraine herrscht weiter Krieg, die Energiepreise wollen einfach nicht sinken und die Zentralbanken versuchen immer noch, die Inflation in den Griff zu bekommen.
Steigende Bau- und Finanzierungskosten belasten die Baubranche und zehren an den Bewertungen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass einige Infrastrukturwerte – insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien – unvermindert stark nachgefragt werden.
Doch aus schwierigen Situationen ergeben sich oft auch Chancen. Fehlbewertungen dürften sich in den kommenden Monaten als interessante Gelegenheit für versierte Anleger erweisen, die flexibel unterschiedliche Märkte und Anlageklassen ins Visier nehmen. James Tarry (JT), Leiter der Multi-Strategie für Real Assets bei Aviva Investors, prophezeit, dass 2023 für Anleger das Jahr mit den besten Anlagechancen seit zehn Jahren werden könnte.
In diesem Interview beleuchten James Tarry und Luke Layfield (LL), Real Assets-Portfoliomanager, die Aussichten für das Real Assets-Segment.
Hinterlassen der Preisauftrieb und die steigenden Zinsen Spuren bei Real Assets?
JT: Wir befinden uns derzeit in einer Phase der Preisfindung, in der Käufer und Verkäufer versuchen, den Fair Value auszuloten. Dieser Korrekturprozess verläuft nicht in allen Segmenten des Real Asset-Universums synchron, sondern hängt davon ab, wie sensibel das jeweilige Segment auf Zinsänderungen reagiert. Wegen der direkten Zinsbindung vollzieht sich die Neubewertung in den Bereichen Private Debt und Finanzierungsleasing schneller als bei Immobilien- und Infrastrukturanlagen. Mit wachsendem Refinanzierungsbedarf werden sich die höheren Finanzierungs- und Kapitalkosten künftig aber auch in den Beteiligungsbewertungen niederschlagen.
Die Auswirkungen auf Liquidität und Bewertungen fallen in den verschiedenen Anlageklassen unterschiedlich deutlich aus. So reagiert beispielsweise der Bereich Real Estate Debt stärker auf die jüngsten Entwicklungen als Infrastructure Debt. Die Nachfrage nach Infrastrukturanlagen – insbesondere im Bereich erneuerbare Energien und digitale Vermögenswerte – ist ungebrochen, sodass der Bewertungsrückgang hier geringer ausfallen dürfte als beispielsweise bei Immobilienbeteiligungen.
Die Rahmenbedingungen sind also insgesamt schwierig. Anleger mit freiem Kapital und dem richtigen Händchen können sich Fehlbewertungen bei erstklassigen Vermögenswerten jedoch zunutze machen.
Was passiert bei einer europaweiten Rezession?
LL: Auch wenn die Zinsen die wichtigste Triebfeder für die Wertentwicklung sind, sollte die Wirkung eines BIP-Rückgangs nicht unterschätzt werden. Allerdings gibt es auch hier erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Anlageklassen. So reagieren Anlagen im Bereich der Immobilienentwicklung und fremdfinanzierte Immobilienanlagen vermutlich sensibler auf eine Konjunkturverlangsamung, während sich erstklassige Immobilien gegenüber weniger attraktiven Objekten als widerstandsfähiger und bei den Mieteinnahmen stabiler erweisen dürften.
Von den Auswirkungen eines BIP-Rückgangs bleibt keine Anlageklasse verschont, manche trifft es jedoch härter als andere
Bei Fremdfinanzierungen sind die Risiken für Kredite mit schlechterem Rating und höherem Leverage indes höher als für vorrangige Schuldtitel, denen eine Rezession kaum etwas anhaben dürfte.
Regionale Unterschiede verlieren in diesem von Unsicherheit geprägten makroökonomischen Umfeld zunehmend an Bedeutung. Viel entscheidender ist die Dynamik innerhalb der einzelnen Anlageklassen. Im Immobiliensegment ist die Neubewertung einer strukturellen Verschiebung des Zinsgefüges geschuldet, während die unverändert rege Nachfrage nach Infrastrukturanlagen in Pfund Sterling und Euro zumindest zum Teil auf thematische Faktoren zurückzuführen ist. Zu nennen sind hier Themen wie die Forcierung der Klimawende und die dringende Notwendigkeit, stärker in die Infrastruktur im Bereich der erneuerbaren Energien zu investieren.
Gibt es Parallelen zu früheren Krisenphasen?
LL: Die aktuelle Abschwungphase steht unter ganz anderen Vorzeichen als die globale Finanzkrise, die den Anstoß zu einem massiven Schuldenabbau gab. Damals befand sich die Wirtschaft fest in den Fängen einer Rezession und konnte sich aufgrund tief verwurzelter systemischer Probleme nur langsam daraus befreien.
2023 könnte das Jahr mit den besten Anlagechancen seit zehn Jahren werden
Die aktuelle Krise folgt hingegen eher dem Schema eines zyklischen Abschwungs mit Zinserhöhungen zur Bekämpfung der hohen Inflation. Anleger mit verfügbarem Kapital und einer klaren Anlagestrategie sollten sich von der kurzfristigen Volatilität nicht irritieren lassen und stattdessen nach Schnäppchen Ausschau halten.
JT: Wir gehen davon aus, dass sich der Markt deutlich schneller wieder stabilisieren wird als nach der Finanzkrise. Mit Blick auf die aktuellen Ratinganpassungen und Neubewertungen besteht somit berechtigte Hoffnung, dass sich 2023 als das Jahr mit den besten Anlagechancen seit zehn Jahren erweisen könnte.
Wo vermuten sie diese Chancen?
JT: Käufern mit hohem Fremdkapitaleinsatz bereiten die höheren Zinsen bei der Refinanzierung Probleme. Dies führt unweigerlich zu Finanzierungslücken, die es zu decken gilt – sei es über mehr Eigenkapital, mehr Schulden oder als Ultima Ratio den Verkauf des Vermögenswerts. Ähnlich verhält es sich bei Beteiligungen: Tagesaktuell gehandelte Immobilienfonds müssen in der Lage sein, Anteile auf Antrag zurückzunehmen. Diese Probleme könnten eine Welle an Notverkäufen auslösen, von der Anleger mit freier Liquidität profitieren dürften.
Anleger mit freier Liquidität dürften profitieren
In einem Rezessionsumfeld setzen bestimmte Kreditgeber meist auf eine Konsolidierung ihrer Bilanzen und meiden im Sinne des Kapitalerhalts Risiken. In gewissem Umfang sind zudem Refinanzierungen wahrscheinlich. Als bankenunabhängiger Kapitalgeber sind wir gut aufgestellt, um das sich daraus ergebende Chancenpotenzial auszuschöpfen.
Stellen Sie diese kurzfristigen Gelegenheiten auch in den Kontext längerfristiger Themen?
JT: Ein klarer Vorteil der Multi-Strategie für Real Assets besteht darin, dass Kapital gezielt dort eingesetzt werden kann, wo zu einem bestimmten Zeitpunkt im Zyklus unserer Ansicht nach der beste relative Wert zu erkennen ist.
Wir investieren weiterhin in Infrastructure Debt und ergänzen unser Portfolio gezielt durch Privatplatzierungen in Großbritannien
Wir haben zwar in letzter Zeit unser Engagement im Bereich Real Estate Debt wegen des schwächelnden Marktes etwas zurückgefahren, investieren aber weiterhin in Infrastructure Debt. Außerdem wurde unser Portfolio um einige Privatplatzierungen in Großbritannien ergänzt, die nicht nur langfristige Erträge versprechen, sondern auch attraktive Aufschläge gegenüber den öffentlichen Märkten bieten.
Gleichzeitig lässt unser Ansatz aber auch Spielraum für gelegenheitsbasierte Investments, die an langfristige thematische Trends anknüpfen und uns in diesem Kontext überzeugend erscheinen. Ein Beispiel für ein solches Investment ist unser Neuzugang Connected Kerb, ein auf Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge spezialisiertes Unternehmen, das perfekt zu unserer Climate Transition Real Assets-Strategie passt, da sich die Netto-Null-Ziele nur mit einer gut ausgebauten Ladeinfrastruktur erreichen lassen. Das Erfolgsrezept besteht darin, die richtige Mischung zwischen überzeugenden Themen und attraktiven kurzfristigen Anlagechancen zu finden.
Inflationsschutz spielt für viele Anleger derzeit eine große Rolle. Welche Märkte eignen sich hierfür in Zukunft besonders gut?
JT: Unserer Ansicht nach lässt sich der aktuelle Inflationsschub nicht als kurzfristiges Phänomen abtun. Je nachdem, wie sich der Krieg in der Ukraine entwickelt, ist zwar ein Rückgang der Energiepreise möglich, die Inflation dürfte jedoch aufgrund längerfristiger struktureller Themen wie demografischer Wandel in den Industrieländern und Deglobalisierung weiter auf hohem Niveau verharren.
Im Gegensatz zu früher, als Inflation kein großes Thema war, spielt Inflationsschutz künftig eine umso größere Rolle
Die Bereitschaft der Länder, hohe Preissteigerungen in Kauf zu nehmen, dürfte angesichts der Schuldenberge, die sich durch die Maßnahmen zur Stützung der durch die Coronapandemie gebeutelten Konjunktur angehäuft haben, außerdem größer sein als sonst. Im Gegensatz zu früher, als Inflation kein großes Thema war, spielt Inflationsschutz künftig also eine umso größere Rolle – und Real Assets bieten diesbezüglich weiterhin gute Möglichkeiten.
LL: Bei Betrachtung der einzelnen Sektoren zeigt sich, dass das Segment Real Estate Long Income eine gute Absicherung gegen Inflationsrisiken bietet. So versprechen Investments in langfristige Indexmietverträge mit finanzstarken Mietern ein hohes Maß an Inflationsschutz, der sowohl vertraglich verankert als auch durch Kredite abgesichert ist. Steigende Kosten und die vielen Fragezeichen bezüglich der Konjunkturentwicklung haben dazu geführt, dass weniger gebaut wird. Die dadurch zuletzt entstandene Angebotsknappheit dürfte sich günstig auf die Mieten von Spitzenobjekten auswirken, sobald sich das neue Zinsumfeld in den Renditen widerspiegelt.
Im Infrastrukturbereich bieten indexgebundene Fremdfinanzierungen Inflationsschutz. Dies gilt vor allem dann, wenn das zugrunde liegende Projekt selbst eine aufsichtsrechtlich oder vertraglich verankerte Inflationsbindung beinhaltet. Auch Investments in subventionierte erneuerbare Energien oder regulierte Versorgungsunternehmen bieten eine Absicherung gegen steigende Preise.