Da die Auswirkungen von COVID-19 weiterhin Gesellschaften und Volkswirtschaften durchdringen, erklärt Trevor Green, warum es keine gute Anlagestrategie ist, die Ungewissheit durch weitere Ungewissheit zusätzlich zu erhöhen. Er skizziert drei wichtige und einfache Regeln für die Navigation auf dem derzeitigen Aktienmarkt.
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Anleger verwechseln oft Risiko und Ungewissheit. Entgegen der landläufigen Meinung sind diese Begriffe keine Synonyme. Der subtile, aber signifikante Unterschied in der Bedeutung dieser Begriffe, auf den die Ökonomen John Maynard Keynes und Frank Knight bereits in den 1920er Jahren hingewiesen haben, offenbart die Kluft zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten, dem Vorhersehbaren und dem Unvorhersehbaren. Oder, wie Donald Rumsfeld es ausdrückte, bekannten Unbekannten und unbekannten Unbekannten.
COVID-19 hat sowohl die Risiken als auch die Ungewissheit erhöht, was Anleger vor eine heikle Herausforderung stellt
Der nicht unwesentliche Unterschied dabei liegt in der Kontrolle. Risiken kann man kontrollieren oder zumindest einkalkulieren; die Ungewissheit kann man jedoch nicht steuern. COVID-19 hat sowohl die Risiken als auch die Ungewissheit erhöht, was Anleger vor eine heikle Herausforderung stellt. Wenn wir jedoch Risiken und Ungewissheit genauer betrachten und in der Lage sind, diese zu unterscheiden, sollten wir vernünftige und fundierte Entscheidungen treffen können. Gerade in Zeiten wie diesen müssen wir uns auf das konzentrieren, was kontrollierbar und bekannt ist, und dabei völlige Ungewissheit um jeden Preis vermeiden.
Beginnen wir mit dem Gesamtbild. Die meisten Wirtschaftsmodelle sind aufgrund ihrer linearen Natur nicht gut geeignet, um das volle Ausmaß von COVID-19 zu ermitteln. Die Variablen, die durch diese Modelle erfasst werden sollen, beziehen sich meist nur auf spezifische, isolierte Faktoren und beruhen darüber hinaus auf der Modellierung unserer menschlichen Reaktion auf die globale Pandemie. Diese ist von Angst getrieben und völlig unberechenbar.
Die Volkswirtschaftslehre bietet ein nützliches Konzept für das Framing der Situation in der wir uns befinden, nämlich den „Wohlstandseffekt
Allerdings bietet die Volkswirtschaftslehre ein nützliches Konzept für das Framing der Situation in der wir uns befinden, nämlich den „Wohlstandseffekt“. Diese These, dass die Menschen mehr ausgeben, wenn der Wert ihrer Vermögenswerte steigt, bietet uns eine Möglichkeit, von der extremen Ungewissheit in einen besser vorhersehbaren Bereich zu gelangen. Es ist zum Beispiel unvermeidlich, dass die Weltwirtschaft in eine Rezession geraten wird. Die Arbeitslosigkeit wird steigen, und es folgt wahrscheinlich ein negatives Wohlstandsklima. Der Aktienmarkt könnte im Vergleich zur jüngsten Geschichte über einen längeren Zeitraum volatil bleiben, da die Anleger Schwierigkeiten haben werden, sich auf den wirtschaftlichen Abschwung einzustellen. Das sind Dinge, die wir wissen. Die Länge und Dauer dieser Entwicklungen ist weniger klar und wird von der wissenschaftlichen und politischen Reaktion abhängen.
Als Aktienanleger kann ich nicht den Anspruch erheben, das Ausmaß der Rezession oder das mögliche Tempo der Erholung vorhersagen zu können. Stattdessen versuche ich ständig, mein Potenzial an erkennbaren Risiken und Chancen zu erweitern. Bei Anlagen nicht auf diese Weise anzusetzen, würde in einer bereits unsicheren Situation weitere Ungewissheit mit sich bringen. Um mich in meinen Überlegungen zu leiten, habe ich die aktuelle Herausforderung in Bezug auf Anlagen in drei einfache Regeln unterteilt:
- Denke langfristig: Unterscheide strukturelle von temporären Änderungen.
- Nutze die Volatilität, um zu attraktiven Kursen in starke Unternehmen zu investieren.
- Erachte COVID-19 als Lackmustest für Unternehmen.
Denke langfristig
Eine Möglichkeit, ein Element der Ungewissheit zu beseitigen, besteht darin, Anlageentscheidungen langfristig auszurichten, da die Entwicklungen bei kurzfristigen Laufzeiten zurzeit fast unmöglich abzuschätzen sind. Wenn sich der Wohlstandseffekt, der in den letzten zehn Jahren ein stetiger und zuverlässiger Ballast für die Märkte war, umkehrt, dürften starke Discounter-Marken, die preisgünstige Artikel verkaufen, davon profitieren. Angesichts von Arbeitslosigkeit, drohender Arbeitslosigkeit oder Verdienstausfall werden viele Menschen versuchen zu sparen, wo immer sie können. Preisvergleichsportale mit erkennbaren Marken könnten in diesem Umfeld ebenfalls gut abschneiden, da die Verbraucher preisbewusster werden und ihre Zeit zu Hause nutzen, um unter anderem nach Einsparmöglichkeiten bei Versorgungsunternehmen und Autoversicherungen zu suchen.
Unabhängig vom Zustand der Wirtschaft werden Schädlingsbekämpfungs- und Hygieneprodukte immer nachgefragt werden
Andererseits und unabhängig vom Zustand der Wirtschaft werden Schädlingsbekämpfungs- und Hygieneprodukte immer nachgefragt werden. Auch wenn COVID-19 nachlässt, wird sich daran nichts ändern. Weitere langfristige Auswirkungen, die man berücksichtigen muss, sind strukturelle Veränderungen in der Reisebranche. Reiseveranstalter müssen sich für längere Zeit auf die veränderte Haltung der Verbraucher in Bezug auf Aufenthalte an überfüllten Orten einstellen.
In ähnlicher Weise wird die Nachfrage im kommerziellen Bürosektor weltweit wahrscheinlich zurückgehen, da die Unternehmen die Effizienz der Arbeit im Homeoffice und die daraus resultierenden Kosteneinsparungen erkennen. Wir haben mit mehreren britischen Unternehmen gesprochen, die bereits den Umfang des von ihnen benötigten Büroraums überprüfen. Es scheint, dass die Dynamik für Unternehmen und Verbraucher, mehr Dinge online abzuwickeln, noch zunehmen wird, seien es die Verlagerung in die Cloud, die allgemeinen Einkaufsgewohnheiten oder Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten für Mitarbeiter.
Nutze die Volatilität zu deinem Vorteil
Die Aktienmärkte sind im Allgemeinen effizient, aber in Zeiten extremer Belastung ist das Gegenteil der Fall. Auch wenn diese Feststellung in Bezug auf Anlagen zu einem Klischee geworden ist: Volatilität schafft Chancen. Als Anleger sind Sie immer auf der Suche nach attraktiven Einstiegsmöglichkeiten in bevorzugte Unternehmen. Ereignisse wie COVID-19 schaffen solche Bedingungen. Viele hochwertige britische und global operierende Franchise-Unternehmen, die wir schon lange auf dem Radarschirm haben, die aber vor dieser Krise zu teuer waren, sind nun in Reichweite. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die über starke Marken verfügen, ein strukturelles Wachstum verzeichnen und deren Kurs-Gewinn-Verhältnisse jetzt günstig sind.
Ein Franchise-Unternehmen, das vor COVID-19 stark war, sollte dies auch danach bleiben
Der berühmte Anleger Robert Arnold sagte einmal: „Bei Anlagen ist das Bequeme selten rentabel.“ Dieser Erkenntnis sollte sich niemand verschließen. Das wachsende Engagement im Einzelhandel mag sich im Moment unbequem anfühlen. Jedoch sollte ein Franchise-Unternehmen, das vor COVID-19 stark war, dies auch danach bleiben. Es ist daher am bequemsten, zu warten, bis die Unternehmen wieder funktionstüchtig und für den Handel geöffnet sind, aber diese Bequemlichkeit wird sich auch im (gestiegenen) Aktienkurs widerspiegeln.
COVID-19 als Lackmustest
Es heißt, erst wenn man Druck auf etwas ausübt, findet man wirklich heraus, was darin steckt. Wie Unternehmen in einer Krise reagieren, sagt uns weit mehr als jeder Bericht und jede Rechnungslegung es je tun wird.
In den letzten zehn Jahren sind einige Aspekte der Tätigkeit in der Anlagebranche durch Algorithmen in den Hintergrund gedrängt worden. Die von den Unternehmen veröffentlichten Gewinne und Erträge werden in computergestützte Modelle eingespeist, die eine quantitative Analyse des Zustands eines Unternehmens ausspucken. All dies kann in wenigen Sekunden erledigt werden. Der Informationswert dieser Daten ist jedoch ohne eine qualitative Analyse begrenzt. Diese bezieht sich nicht nur auf bestimmte Unternehmen, sondern auf strukturelle Branchentrends und grundlegende Veränderungen der Geschäftsmodelle.
COVID-19 bietet uns einen Einblick in die Unternehmen, der unter normalen Umständen nicht vorstellbar wäre
Treffen mit der Geschäftsleitung können aktiven Managern einen entscheidenden Vorteil verschaffen. Aber wir müssen auch andere Möglichkeiten finden, um mehr über das Innenleben und den Zustand der Unternehmen zu erfahren, in die wir investieren oder die wir genau beobachten. COVID-19 bietet eine dieser seltenen Gelegenheiten. Die Pandemie bietet uns einen Einblick in die Unternehmen, der unter normalen Umständen nicht vorstellbar wäre. Wie gut waren sie auf eine Krise vorbereitet? Wie anpassungsfähig sind sie? Haben sie schnell gehandelt, um die Sicherheit ihres Personals, ihrer Lieferanten und ihrer Kunden zu gewährleisten? Was sagt ihre Reaktion über die Firmenkultur aus? Haben sie in Bereiche investiert, die aus ihren Finanzberichten nicht sofort ersichtlich sind?
Die Antworten auf all diese Fragen offenbaren eine Menge wertvoller Informationen – insbesondere in Bezug auf ESG-Faktoren. Starke Marken können ihren Ruf und ihr Ansehen auf dem Markt durch die Art und Weise, wie sie mit einer Krise umgehen, verbessern. Es gibt zahlreiche Beispiele für Unternehmen, die in dieser Zeit der Not das britische Gesundheitssystem (NHS) und andere wichtige Akteure durch positive Maßnahmen unterstützen.
Gute Unternehmen werden nach der Krise immer noch gute Unternehmen sein
Warren Buffet ist für viele Sprüche bekannt. In der gegenwärtigen Situation ist der Passendste vielleicht dieser: „Das Beste, was uns passieren kann, ist, dass ein großes Unternehmen vorübergehend in Schwierigkeiten gerät.“ Bei all der Ungewissheit können wir sicher sein, dass gute Unternehmen mit guten Werten und guter Firmenkultur, einem starken Management und stabilen Bilanzen, nach der Krise noch immer gute Unternehmen sein werden.