Der große Rahmen

Resilienz hält Rezessionen auf Abstand, aber wie lange noch?

Die Weltwirtschaft hat sich stärker gezeigt, als man dies angesichts der enormen Angebotsschocks noch zu Jahresbeginn für möglich gehalten hätte, die mit ihrer preistreibenden Wirkung in den vergangenen zwölf Monaten ihre Spuren bei den verfügbaren Einkommen hinterlassen haben. Mehrere Indikatoren deuten auf eine Wachstumsbeschleunigung im ersten Halbjahr 2023 hin, da sinkende Energiepreise zu einem Rückgang der Gesamtinflation geführt haben.

Der aktuelle Konjunkturzyklus geht jedoch aller Voraussicht nach seinem Ende entgegen. Trotz des starken Rückgangs der Energiepreise haben die führenden Zentralbanken ihren Kampf gegen die inflationären Tendenzen noch nicht gewonnen. Vor diesem Hintergrund ist von weiter steigenden Zinsen auszugehen.

Dieses „spätzyklische“ Umfeld könnte noch eine Weile anhalten, sollte sich die Weltwirtschaft weiterhin unerwartet resilient zeigen. Wie dem auch sei, für die großen Industrieländer sieht es im zweiten Halbjahr weiterhin nach Wachstum unter dem Trend aus, da die Zinserhöhungen negative Auswirkungen auf die finanziellen Spielräume der privaten Haushalte und damit einen konsumdämpfenden Effekt haben.

Die Zentralbanken üben sich in dem Balanceakt, die Zinszügel so stark zu straffen, dass der Arbeitsmarkt nicht überhitzt, die Lohnsteigerungen im Rahmen bleiben und die Kerninflation letztlich sinkt, ohne jedoch die Konjunktur abzuwürgen. Dabei muss man sich allerdings vor Augen halten, dass solche Phasen in der Regel mit zu starken Zinserhöhungen in eine Rezession münden.

Was hat dies für Implikationen für die Asset-Allokation?

Aktien

Die meisten Aktienmärkte verzeichneten in diesem Jahr bisher Kurssteigerungen von zehn bis zwanzig Prozent, an manchen Märkten wie Japan oder im US-Technologiesektor fielen die Gewinne sogar noch höher aus. Da allgemein der Eindruck herrschte, dass in der Zinsentwicklung demnächst der Zenit erreicht ist und die Weltwirtschaft stärker wächst als erwartet, waren Anleger in Kauflaune. Tendenziell über den Erwartungen liegende Unternehmensgewinne wirkten nachfragestimulierend. Kurzfristig sehen wir positive Perspektiven für die Aktienmärkte, insbesondere in Europa, da dort mit einer stabileren Gewinnentwicklung bei attraktiveren Bewertungen zu rechnen ist. Darüber hinaus sind wir wegen des Rezessionsrisikos jedoch zurückhaltend.

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Abbildung 2. Asset-Allokation - Aktien

Staatsanleihen

Der Ausblick für Staatsanleihen ist positiver als vor drei Monaten, da Zinserhöhungen bereits in großem Umfang eingepreist sind. Angesichts der offensichtlichen und wachsenden Gefahr, dass höhere Zinsen letztlich in eine Rezession führen, sind wir in dieser Anlageklassen mittlerweile übergewichtet.  Wir sehen potenziell Chancen in den USA, da dort der Scheitelpunkt in der Zinsentwicklung wahrscheinlich schon früher erreicht ist. Ähnlich sieht es in Bezug auf britische Staatsanleihen aus, da ein weiterer großer Zinsschritt bereits eingepreist ist. Auch bei Schwellenländeranleihen in Lokalwährungen besteht unter Umständen Potenzial, da die Zentralbanken in diesen Ländern die Zinsen ab der zweiten Jahreshälfte wieder senken dürften.

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Abbildung 3. Asset-Allokation - Staatsanleihen

Unternehmensanleihen

Unternehmensanleihen stehen wir neutral gegenüber. Das Renditeplus gegenüber Staatsanleihen erscheint angesichts solider Unternehmensgewinne und niedriger Ausfallquoten gerechtfertigt. In der Annahme, dass eine Rezession abgewendet wird, haben Anleger bei diesen Papieren jedoch stärker zugegriffen, was zu entsprechenden Kurssteigerungen geführt hat. Angesichts der spätzyklischen Phase und des Risikos, dass sich diese Hoffnungen zerschlagen, könnten Anleihen als überteuert angesehen werden. Da Unternehmen in den letzten Jahren in großem Umfang Anleihen zu extrem niedrigen Zinsen emittiert haben, bestand kein großer Refinanzierungsbedarf. Dies könnte sich 2024 und 2025 jedoch ändern, was problematisch werden könnte, wenn es gleichzeitig zu einer Rezession kommt.

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Abbildung 4. Asset-Allokation - Unternehmensanleihen

Liquidität

Wir sind weiterhin übergewichtet in Liquidität. Trotz negativer Realzinsen besteht Aussicht auf eine positive Rendite in nicht allzu ferner Zukunft, da die Inflation weiter steigt und die Zentralbanken die Zinsschraube weiter anziehen. Liquidität bietet in jedem Fall einen gewissen Risikoschutz für ein Portfolio. Außerdem können Anleger jederzeit umschichten, wenn sie bessere Chancen sehen.

Abbildung 5. Asset-Allokation - Liquidität

Die wichtigsten Anlagethemen

1.  Anhaltende Inflation und Unsicherheit

Die Inflation wieder auf ein Niveau in der Nähe des Zielkorridors der Zentralbanken abzusenken und dabei den volkswirtschaftlichen Schaden so gering wie möglich zu halten, ist ein schwieriges Unterfangen, auch wenn es bereits erste Fortschritte gibt. Die durch die Pandemie, gestörte Lieferketten sowie Preisschocks bei Energie und Lebensmitteln verursachten starken angebotsseitigen Negativeffekte haben sich mittlerweile abgeschwächt.

Obgleich dies grundsätzlich eine erfreuliche Entwicklung ist, steht jetzt die hartnäckigere Kerninflation im Zentrum der Aufmerksamkeit. Während bis vor Kurzem also angebotsseitige Faktoren dominierten, scheint nun der Nachfrageüberhang das Geschehen zu bestimmen.

Die Zentralbanken reagieren auf diese Entwicklung unterschiedlich stark mit nachfragedämpfenden Zinserhöhungen. Es bleibt abzuwarten, wie schmerzhaft der Prozess sein wird, die Inflation wieder auf ein Niveau von etwa zwei Prozent abzusenken. Doch das Mandat der geldpolitischen Entscheidungsträger besteht in der Sicherung von Preisstabilität. Dieses Ziel müssen sie konsequent verfolgen, auch um den Preis von Kollateralschäden in Teilen der Wirtschaft.

2. Globale Fragmentierung

Eine ganze Reihe zunehmend tief sitzender Reflexe führt dazu, dass Länder ihre Eigeninteressen über alles stellen und auf Konfrontationskurs gehen. Sanktionen, Zölle und andere Handelshemmnisse gehören heute zur Realität und müssen von Anlegern unbedingt in ihre Überlegungen einbezogen werden.

Das Wachstum bei den globalen Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalströmen scheint zu stagnieren (siehe Abbildung 7). Gleiches gilt wohl im Hinblick auf zentrale Elemente von Migrationsströmen. Die Globalisierung hatte auch ihre Schattenseiten – nicht alle haben davon profitiert, und mancherorts hat sie vielleicht zu größerer Ungleichheit beigetragen. Es liegt aber ganz klar auf der Hand, dass die Positiveffekte eventuelle Nachteile bei Weitem überwiegen.

Damit besteht unmittelbar die Gefahr, dass mit der Deglobalisierung langfristig alle oder fast alle verlieren. Neue Forschungsergebnisse zu den potenziellen Auswirkungen einer Fragmentierung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen beziffern die langfristigen Einbußen auf zwei bis zwölf Prozent des globalen BIP.

Figure 7

3. Renaissance der Industriepolitik 

Nachdem in den letzten Jahren schon die Fiskalpolitik wieder in Mode gekommen ist, erlebt nun auch die Industriepolitik ein Comeback. Ziel der Industriepolitik ist die Förderung strategisch wichtiger Branchen.

Wie Abbildung 8 zeigt, wird in vielen Ländern in mehreren Bereichen bereits kräftig investiert. Dahinter stehen viele verschiedene Faktoren, u. a. die Bedrohung durch China, die Sicherung der Versorgung mit wichtigen Gütern, der Kampf gegen den Klimawandel und die Entwicklung neuer Technologien.

Diese staatlichen Investitionsprogramme bilden wahrscheinlich das globale Umfeld, in dem sich der Handel in Zukunft abspielen wird. Dies kann zu Friktionen zwischen bestimmten Ländern oder Regionen führen. Einige Stimmen fürchten eine Rückkehr zum Protektionismus, unfaire Staatsbeihilfen und die gezielte Förderung nationaler Champions. In den meisten Fällen sind diese Initiativen jedoch einfach das Ergebnis einer neuen staatlichen Prioritätensetzung.

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House View Q3 2023

PDF 5.9 MB 29 pages

Die Weltwirtschaft hat preistreibende und damit kaufkraftschmälernde Angebotsschocks besser verkraftet als erwartet. Trotz rückläufiger Wachstumsraten befindet sich keine der großen Volkswirtschaften aktuell in einer Rezession.

House View Q3 2023

20 Juli 2023 14:00 GMT 45 Minuten

Sehen Sie unseren House View Q3-Live Webcast mit Jennie Byun, Investment Director Multi-Asset & Macro, David Nowakowski, Senior Strategist Multi-Asset & Macro, und Baylee Wakefield, Portfolio Manager Multi-Asset, im Gespräch über das aktuelle und zukünftige Anlageumfeld an.

Dieses Video entspricht 45 Minuten beruflicher Weiterbildung (CPD)

Über House View

Das House View-Dokument von Aviva Investors ist eine umfassende Zusammenstellung von Ansichten und Analysen der wichtigsten Anlageteams.

Das Dokument wird vierteljährlich von den Anlageexperten von Aviva Investors erstellt und vom Investment Strategy Team überwacht. Zweimal jährlich halten wir ein House View Forum ab, bei dem die wichtigsten Themen und Argumente vorgestellt, diskutiert und erörtert werden. Die Genese des House View ist ein Gemeinschaftsprojekt - allen Beteiligten sind die Schlüsselthemen und die wichtigsten Aspekte der Prognose bekannt. Jeder hat das Recht, sich zu beteiligen, und alle werden dazu ermuntert. Ziel ist es, sicherzustellen, dass sich alle Teilnehmer grundlegend mit den Gedankengängen der anderen Teilnehmer auseinandersetzen und zwischen den Teams ein breiter Konsens über die wichtigsten Aspekte des Berichts erreicht werden kann.

Das House View-Dokument dient vor allem zwei Zwecken: Erstens bietet seine Ausarbeitung einen umfassenden und zukunftsweisenden Rahmen für die Diskussion zwischen den Anlageteams. Zweitens bietet es uns die Möglichkeit, unsere Gedanken zu teilen und den Betroffenen die Gründe für unsere wirtschaftlichen Ansichten und Anlageentscheidungen zu erklären.

Nicht jeder wird mit allen Annahmen und Schlussfolgerungen einverstanden sein. Niemand kann die Zukunft hundertprozentig vorhersagen. Der Inhalt dieses Berichts stellt jedoch die beste kollektive Beurteilung des aktuellen und zukünftigen Anlageumfelds durch Aviva Investors dar.

House View-Autoren

House View-Archive

House View Q2 2023

PDF 7.7 MB 18 pages

House View 2023 Outlook

PDF 30.7 MB 80 pages

House View Q4 2022

PDF 9.8 MB 21 pages

House View Q3 2022

PDF 11.0 MB 22 pages

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