Zu den unmittelbaren Folgen der COVID-19-Pandemie zählt ein deutlicher Rückgang der Risikobereitschaft der Anleger. Aber schwindet auch deren Interesse an der Illiquiditätsprämie auf den privaten Märkten? Laurence Monnier forscht nach.

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In den letzten zehn Jahren veranlassten die stetig schrumpfenden Renditen der Rentenmärkte die Anleger, an anderer Stelle nach Gelegenheiten für Ertragssteigerungen zu suchen. Im Fokus standen dabei entweder risikoreichere Anlageklassen auf den öffentlichen Märkten oder weniger liquide private Vermögenswerte wie Immobilien, Infrastruktur und Private Corporate Debt.
Ein wesentlicher Faktor für den Anstieg der Allokationen in private Vermögenswerte war die Überzeugung, eine Illiquiditätsprämie erhalten zu können, oder anders ausgedrückt: voraussichtlich höhere Renditen zu erzielen als bei öffentlich gehandelten Vermögenswerten von weitgehend ähnlicher Qualität.1 Angesichts der Ausweitung der Anleihespreads aufgrund der Marktspannungen infolge von COVID-19 und der Risikoaversion der Anleger stellen sich jedoch zwei zentrale Fragen: Was könnte jetzt mit der Illiquiditätsprämie geschehen und wie groß ist die Nachfrage der Anleger nach illiquiden Anlagen?
Es ist schwierig, beide Fragen zweifelsfrei zu beantworten, insbesondere da die Transaktionsaktivität auf den privaten Märkten zu begrenzt war, um aussagekräftige Erkenntnisse darüber zu bieten, wie viel sich während der Pandemie verändert hat. Auf Grundlage der aus vergangenen Krisen gezogenen Lehren und einer Analyse der Auswirkungen der derzeitigen Makro- und Mikrofaktoren auf die privaten Vermögenswerte gibt dieser Artikel jedoch eine Übersicht darüber, wie sich die Illiquiditätsprämien in den nächsten 24 Monaten entwickeln könnten.
Eine Abweichung von der Vergangenheit
Anleger, die nach Hinweisen suchen, wie sich COVID-19 auf die Illiquiditätsprämie auswirken könnte, blickten verständlicherweise auf die globale Finanzkrise zurück. In Zeiten von Marktverwerfungen verengen sich die Illiquiditätsprämien in der Regel, da die Neubewertung von Private Debt-Titeln im Vergleich zu ihren öffentlichen Pendants langsamer erfolgt. Umgekehrt sind sie tendenziell kurz nach einer Rezession am stärksten geweitet, da sich die öffentlichen Märkte schnell erholen, Anleger in privaten Vermögenswerten jedoch ihre Disziplin länger beibehalten. Diese Entwicklung ist in Abbildung 1 dargestellt.
Abbildung 1: Illiquiditätsprämie für ausgewählte Anlageklassen

Die aktuelle Situation weist zwar einige Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede zu früheren Krisen auf, die sich unterschiedlich auf die Illiquiditätsprämie auswirken könnten:
- Genau wie in der globalen Finanzkrise haben die großen Zentralbanken auch jetzt Liquidität zur Stützung der Märkte zur Verfügung gestellt. Diesmal sind jedoch nicht die Banken und andere Finanzinstitutionen Hauptursache des Geschehens und sie sind besser positioniert, um die Unternehmen zu unterstützen.
Selbst mit Unterstützung der Zentralbanken werden die Auswirkungen auf Unternehmensinsolvenzen und Arbeitslosigkeit gravierend sein und möglicherweise das Niveau der jüngsten Rezessionen überschreiten. Der Lockdown hat bestimmte Sektoren, etwa den Einzelhandel, das Transportwesen und das Gastgewerbe, besonders hart getroffen. Andere wiederum, beispielsweise das Gesundheitswesen und der Technologiesektor, haben sich als sehr widerstandsfähig erwiesen.
Auswirkung: Angesichts der beträchtlichen geldpolitischen Unterstützung werden sich die Anleihespreads wahrscheinlich schneller verengen als in vergangenen Krisen, jedoch mit größeren Abweichungen auf Sektor- und Unternehmensebene.
Abbildung 2: Kreditspreads des auf Pfund Sterling lautenden Index für Investment-Grade-Anleihen und ausgewählte Teilsektoren

- Ein weiterer Unterschied zu vergangenen Krisen ist der schiere Umfang der finanzpolitischen Anreize, die zur Unterstützung der Wirtschaft auf den Weg gebracht wurden, darunter außergewöhnliche Maßnahmen wie Lohnergänzungsleistungen und, von zentraler Bedeutung, das Angebot staatlicher Garantien für Unternehmenskredite. Diese Maßnahmen gehen weit über die in vergangenen Rezessionen gewährte Unterstützung hinaus.
Auswirkung: staatliche Unterstützungspakete werden wahrscheinlich die Unternehmensinsolvenzen und die Kreditmargen begrenzen.
Abbildung 3: Finanzhilfen in Europa im Vergleich zu anderen Ländern

- Der Anteil der Banken am Kreditmarkt ist seit der Finanzkrise stark zurückgegangen. Laut S&P betrug im Jahr 2019 der Anteil globaler Banken und Wertpapiere auf dem europäischen Leveraged-Loan-Markt nur 24,2 Prozent, verglichen mit 43,6 Prozent im Jahr 2007. Während viele staatliche Interventionen zur Unterstützung von Unternehmen über Banken abgewickelt werden, wird bankenfremden Kreditgebern in der Erholungsphase eine wesentliche Rolle zukommen.
Auswirkung: Durch die Disintermediation des Kreditmarktes steigt die Bedeutung bankenfremder Anleger. Angesichts der unterschiedlichen Auswirkungen der Krise in den einzelnen Branchen werden Anleger bei der Suche nach Illiquiditätsprämien äußerst selektiv sein.
Wie könnte sich also die Illiquiditätsprämie entwickeln?
Wie schon in vergangenen Rezessionen führte die erhebliche Ausweitung der Spreads auf den öffentlichen Märkten zunächst zu einem Rückgang der Illiquiditätsprämie, da die Neubewertungen auf den privaten Märkten langsamer erfolgen. Je nach Sektor wurde jedoch eine sehr unterschiedliche Performance verzeichnet, und wie das vorstehende Diagramm zeigt, ist bei den Kreditspreads der Sektoren, die durch COVID-19 weniger stark beeinträchtigt wurden, bereits eine deutliche Verengung zu beobachten.
Die Illiquiditätsprämie sollte auf vergleichbarer Basis analysiert werden
Angesichts dieser Differenzierung nach Sektoren kann die Verwendung breit gefächerter öffentlicher Benchmarks zu irreführenden Ergebnissen führen. Die Illiquiditätsprämie sollte auf vergleichbarer Basis analysiert werden und kann höher sein als das Ergebnis eines einfachen Benchmark-Vergleichs.
Ein wesentlicher Unterschied zur globalen Finanzkrise besteht darin, dass sich die Banken nicht im Zentrum des Sturms befinden und die Kosten für Versicherungen gegen Bankausfälle, gemessen an den Credit Default Swap-Spreads, moderat bleiben. Die Finanzierungskosten der Banken sind jedoch nach wie vor relativ hoch, wie aus Abbildung 4 hervorgeht.
Abbildung 4: Die Diskrepanz zwischen CDS und Finanzierungskosten britischer Banken

Dadurch wird das Halten von qualitativ höherwertigen privaten Darlehen, die für staatliche Anleihenkaufprogramme nicht infrage kommen, teurer, was bankenfremden Akteuren mehr Gelegenheiten für die Finanzierung hoch bewerteter Privatplatzierungen in Europa bieten dürfte. Private strukturierte Finanztransaktionen, z. B. durch Exportkreditagenturen garantierte Kredite oder Swap-Repacks, dürften ebenfalls davon profitieren.
Europäische Regierungen kündigten schnell Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen und Volkswirtschaften an
Unterdessen gaben die Regierungen in Europa schnell Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen und Volkswirtschaften bekannt. Der größte Teil dieser Unterstützungsmaßnahmen wird über Banken abgewickelt, die von reduzierten Kapitalanforderungen und einem besseren Zugang zu Liquidität zur Finanzierung von Darlehen profitieren. Beispielsweise bietet das TFSME-Scheme der Bank of England (Term Funding Scheme mit zusätzlichen Anreizen für kleine und mittlere Unternehmen) Banken vier Jahre lang Finanzmittel zu Zinssätzen nahe am Leitzins; dabei hängt das ihnen zur Verfügung stehende Volumen davon ab, in welcher Höhe sie Kredite an KMU vergeben.
Gleichzeitig haben die Regierungen umfassende Maßnahmen eingeleitet, um die Unternehmen direkt zu unterstützen, darunter Unterstützung bei Lohnzahlungen, Steuererleichterungen und Garantien für Bankkredite. Das Schema in Abbildung 5 zeigt einige der ergriffenen Maßnahmen und deren Auswirkungen auf die Illiquiditätsprämie.
Abbildung 5: Politische Maßnahmen und die Illiquiditätsprämie

Darlehensgarantie-Programme sind eine wesentliche Veränderung gegenüber der Vergangenheit. So brachte die Regierung in Frankreich dieses Jahr Garantien in Höhe von bis zu 300 Milliarden Euro für Unternehmenskredite auf den Weg, von denen bis zum 30. April bereits über 50 Milliarden Euro genehmigt wurden.2 Die Tatsache, dass der durchschnittliche Kreditfluss an Unternehmen in den drei Jahren bis 2018 168 Milliarden Euro betrug,3 verdeutlicht den Umfang der staatlichen Eingriffe in den Kreditmarkt.
Die an diese Programme geknüpften Bedingungen könnten Anlegern in den einzelnen Staaten vielfältige Gelegenheiten bieten
In jedem Land wurden Regeln und Ausschlüsse für die jeweiligen Programme definiert. Im Vereinigten Königreich können kleine Unternehmen, die mehr als die Hälfte ihrer Erträge aus Handelsgeschäften erwirtschaften, Unterstützung erhalten. Davon profitieren jedoch nicht alle Unternehmen. Immobiliengesellschaften, die ihre Erträge aus Mieten erzielen, sind beispielsweise ausgeschlossen. Die Zulassung für das Programm im Vereinigten Königreich wurde auch durch andere Kriterien begrenzt. Die mit diesen Programmen verbundenen Bedingungen könnten jedoch Anlegern in den einzelnen Staaten vielfältige Gelegenheiten bieten.
Positionierung für den Aufschwung
Die Laufzeit garantierter Darlehen ist nicht ausschließlich kurzfristig. In Frankreich können die Darlehen nach der anfänglichen Laufzeit von einem Jahr um bis zu fünf Jahre verlängert werden. Die Kosten werden zunächst bezuschusst: Im Vereinigten Königreich werden die Zinsen für die ersten 12 Monate von der Regierung gezahlt, in Frankreich wiederum haben sich die Banken dazu verpflichtet, solche Darlehen zum Selbstkostenpreis zuzüglich einer steigenden Garantiegebühr im Falle einer verlängerten Laufzeit des Darlehens bereitzustellen.
Große Volumina dieser Darlehen könnten die auf dem Markt für Unternehmenskredite verfügbare Prämie für eine Weile belasten. Trotzdem könnte es für Anleger in den nächsten 12 bis 18 Monaten starke Finanzierungsmöglichkeiten mit einer attraktiven Prämie geben.
Erstens haben der Umfang der Anleihenkaufprogramme und die Verbesserung der Marktstimmung bereits zu einem Abwärtstrend bei den Renditen öffentlicher Anleihen geführt, insbesondere auf dem Investment-Grade-Markt. In den USA hat die US-Notenbank ihr Anleihenkaufprogramm auf Crossover-Schuldtitel ausgeweitet, und die Europäische Zentralbank kündigte an, dass sie BB-Anleihen als Sicherheiten akzeptieren werde. Diese Maßnahmen führten zu einer Verringerung der Kreditspreads der zugrunde liegenden Wertpapiere und werden wahrscheinlich so lange wie nötig in Kraft bleiben.
Wenn es den Regierungen gelingt, die Gesellschaften und Volkswirtschaften aus dem Lockdown herauszuführen, dürfte sich die Verringerung der öffentlichen Spreads beschleunigen und die Illiquiditätsprämie wiederhergestellt werden.
Drittens wird es starke Anreize für Banken und Regierungen geben, staatlich garantierte Darlehen zu refinanzieren und so bald wie möglich institutionelles Kapital einzusetzen. Die Banken werden bestrebt sein, ihr Engagement und ihre Konzentration zu reduzieren, um Kapital für neue Transaktionen freizusetzen. Die Regierungen werden indes versuchen, den Umfang ihrer Eventualverbindlichkeiten zu begrenzen. Die Kreditnehmer wiederum werden das Ziel verfolgen, sich von den mit diesen Krediten verbundenen Beschränkungen und Auflagen (z. B. Beschränkungen in Bezug auf Dividendenzahlungen) zu befreien und ihre Finanzierungsquellen zu diversifizieren.
Die Divergenzen auf Unternehmens-, Sektor- und Marktebene erfordern eine detailliertere Analyse
Zwar besteht eine erhebliche Unsicherheit in Bezug auf die wirtschaftlichen Aussichten, diese Faktoren dürften jedoch den Anlegern eine bedeutende Chance bieten, Transaktionen zu finanzieren, sobald die Erholung einsetzt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die derzeitige Krise zwar wahrscheinlich negative Auswirkungen auf die Illiquiditätsprämie insgesamt haben wird, dass aber die Divergenzen auf Unternehmens-, Sektor- und Marktebene eine genauere Analyse erfordern.
Auf kurze Sicht sehen wir nach wie vor Wert bei höher bewerteten und strukturierten privaten Schuldtiteln. Angesichts der starken Marktverwerfungen, die wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, bestehen für Anleger mit flexiblen Mandaten auch andernorts gute Gelegenheiten. Auf längere Sicht gibt es gute Argumente für eine voraussichtliche breitere Erholung in den nächsten 18 Monaten. Anleger, die entsprechende Sorgfaltsprüfungen durchgeführt und ihre Anlagen selektiv getätigt haben, werden gut positioniert sein, um davon zu profitieren.