In der Vergangenheit waren die verschiedenen Anlageklassen am Anleihemarkt von klar voneinander abgegrenzten Risiko- und Renditefaktoren geprägt. Doch das globale Marktumfeld befindet sich im Wandel und die Grenzen verschwimmen zusehends. In diesem Artikel beleuchten wir, was diese Entwicklung für Anleiheinvestoren bedeutet.

Dieser Artikel beschäftigt sich mit folgenden Themen:

  • Warum der Blick auf Staatsanleihen und Zinsmärkte für Investitionen in Unternehmensanleihen immer wichtiger wird
  • Die Trennlinie zwischen den Märkten der Schwellen- und Industrieländer wird immer unschärfer
  • Der Wert von teamübergreifender Zusammenarbeit und dem Austausch von Perspektiven

Die klassischen Trennlinien zwischen den Anlageklassen verschwimmen immer stärker aufgrund einer wachsenden Wechselwirkung zwischen Geldpolitik und Marktbewegungen. Daten, Ereignisse und Anlageklassen, die einst als nebensächlich galten, beeinflussen heute zunehmend die Portfoliorenditen. Einige sind mit neuen Risiken verbunden, andere eröffnen attraktive Chancen. Diese Überschneidung führt dazu, dass Anleihen und Kredite aus Schwellenländern (EM) für Anleger in Industrieländern (DM) zunehmend attraktiv werden.

So verzeichnen neue EM-Anleiheemissionen nach wie vor eine rege Nachfrage internationaler Anleger. Staatsanleihen aus Ländern wie Chile oder Polen stehen mittlerweile auf Augenhöhe mit gleich bewerteten DM-Titeln, was sie für Buy-and-Maintain-Anleger attraktiv macht. Die Einstufung Katars und Kuwaits als Industrieländer führt dazu, dass beide Länder künftig nicht mehr in den J.P. Morgan EM Sovereign Bond-Indizes berücksichtigt werden. Am anderen Ende des Spektrums profitieren Distressed-Debt-Anleger von Umschuldungen in ausgewählten EM. Sie werden angezogen vom Potenzial fundamentaler Erholungen und überdurchschnittlicher Renditen. Immer mehr Investoren, die bislang auf DM konzentriert waren, entdecken EM-Anlagen als attraktive Ergänzung ihrer Portfolios.

Aber auch die Märkte für Investment-Grade- und High-Yield-Anleihen nähern sich an. Der ständige Wechsel zwischen „Rising Stars“ und „Fallen Angels“ lässt die Grenzen zwischen diesen Anleihekategorien verschwimmen. Anleger gehen über gewohnte Grenzen hinaus und suchen trotz klarer Mandatsgrenzen gezielt nach neuen Wegen zur Diversifikation und Wertschöpfung.

Makroökonomische Faktoren bestimmen die Kreditmärkte heute stärker denn je. Inflation, Zinsvolatilität und Fiskalpolitik wirken sich auf alle Anlageklassen aus. Ein Beispiel sind etwa Zölle, die mittlerweile zu einem globalen Thema geworden sind. Für Investment-Grade-Manager wird der Austausch mit Zins- und EM-Experten immer wertvoller. High-Yield- und EM-Anlagen weisen ähnliche Risikoprofile und Marktmechanismen auf, weshalb die enge Abstimmung zwischen den Teams immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Die Bedeutung einer klaren Sicht auf Staatsanleihen

Eine klare Sicht auf Staatsanleihen und Zinsmärkte wird im Bereich Unternehmensanleihen unverzichtbar.

Wenn die Risikoaufschläge schrumpfen, wird der Zins zum entscheidenden Renditetreiber. Wenn die Zinsen steigen, wie zuletzt in den USA und Großbritannien, geraten auch die Risikoaufschläge in Bewegung. Zentralbankentscheidungen wirken sich längst nicht mehr nur auf Staatsanleihen aus: Investment-Grade-Spreads passen sich an, es öffnen oder schließen sich Refinanzierungsfenster und die Kreditkurven verändern ihre Struktur. Wer die Zinsrichtung nicht im Blick hat, dem können attraktive Einstiegsgelegenheiten und Renditechancen entgehen.

Wer die Zinsrichtung nicht im Blick hat, dem können attraktive Einstiegsgelegenheiten und Renditechancen entgehen.

So gehen wir ab August 2025 davon aus, dass Renditeaufschläge bei bestimmten Staatsanleihen mitunter die Bewertung von Unternehmensanleihen verzerren. Unser Fazit: Unternehmensanleihen scheinen auf dem derzeitigen Niveau angemessen bewertet, von Überhitzung kann keine Rede sein. Angesichts wachsender Bedenken über die Bonität einiger westlicher Staaten stützen wir die Bewertung von Unternehmensanleihen statt auf den klassischen Aufschlag gegenüber Staatsanleihen nun stärker auf andere Kennzahlen wie Swap-Spreads. Dadurch lässt sich der Einfluss des steigenden Staatsrisikos auf die Renditen von Staatsanleihen ausblenden, und die Bewertung von Unternehmensanleihen wird präziser. Um das erkennen zu können, braucht es jedoch eine klare Sicht auf Staatsanleihen.

Sich ausweitende Spreads im Investment-Grade-Bereich können Hinweise auf eine Konjunkturabkühlung sein, was Folgen für die Zinspositionierung hat. Diese enge Verflechtung verdeutlicht die Grenzen segmentierter Analyseansätze. Eine separate Betrachtung von Zins- und Kreditmärkten birgt die Gefahr von Informationslücken, suboptimalem Risikomanagement und verpassten Alpha-Chancen. Und doch sind bei vielen Anlageverwaltern diese Funktionen weiterhin streng voneinander getrennt.

Ein Blick auf Staatsanleihen ist inzwischen auch im DM-Umfeld unverzichtbar 

Was bei EM-Anleihen längst selbstverständlich ist, gewinnt nun auch in den Industrienationen an Gewicht: eine fundierte Einschätzung der Staatsfinanzen. Länder wie Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich stehen vor ähnlichen Problemen wie klassische EM – von der Tragfähigkeit ihrer Schulden über einen begrenzten Haushaltsspielraum bis hin zu wachsendem Protektionismus. Nur auf die Zinsen zu schauen, genügt nicht mehr. Länderspezifische Einschätzungen müssen Teil der Analyse werden. Eine enge teamübergreifende Zusammenarbeit verändert die Bewertung von Krediten grundlegend und ist ein zentraler Treiber der Konvergenz zwischen EM- und DM-Märkten.

Schwellenländer und Industrienationen nähern sich an

In der Vergangenheit wurde der Markt für EM-Anleihen vor allem als idiosynkratisch angetriebene Anlageklasse betrachtet. Doch die globale Verflechtung, die Annäherung fundamentaler Positionen und das Aufkommen gemeinsamer Risikofaktoren haben die Korrelation zwischen EM- und DM-Anlagen deutlich erhöht.

Wie oben bereits erläutert, werden Anleger in beiden Anlageklassen heute von denselben makroökonomischen Risiken beeinflusst. Auch die Kreditqualität im EM-Universum hat sich seit Anfang 2000 nach und nach verbessert. Während die DM früher als strukturell stärkere, effizientere Volkswirtschaften mit größerem wirtschaftlichem Handlungsspielraum galten, hat sich dieses Verhältnis in einigen Fällen umgekehrt. In den EM verbessern sich die strukturellen Rahmenbedingungen, doch in den DM halten die wirtschaftlichen Herausforderungen an. Daher gehen wir von einer weiteren Annäherung der beiden Marktsegmente aus (siehe Abbildung 1). 

Abbildung 1: Assessing credit quality in developed and emerging markets

Note: The cyclical score measures short-term drivers of risk – GDP growth, debt and deficits. The structural score measures long-term economic development and wealth.

Source: Aviva Investors, Fitch Ratings. Data as of August 15, 2025.

Im Universum der Unternehmensanleihen steigt indes die Zahl der Emittenten, sowohl in EM- als auch in DM-Indizes. Beispiele dafür finden sich in unterschiedlichsten Sektoren und Kontinenten: von dem mexikanischen Telekommunikationsunternehmen América Móvil in Mexiko über das Pharmaunternehmen Teva in Israel und dem Telekomspezialisten Altice in Luxemburg bis hin zum Glücksspielsektor in Macau. Dies hat im Research zu einer wachsenden Überlappung geführt, da diese Namen für EM- und DM-Anleger gleichermaßen relevant sind und sie zudem Komponenten unterschiedlicher Strategien sind.

Darüber hinaus sind Anleger zunehmend in der Lage, von individuellen Ideen zu profitieren, bei denen die Grenzen verschwimmen. Ein gutes Beispiel dafür im Finanzsektor ist BBVA Mexico. Als eine wichtige und leistungsstarke Tochtergesellschaft der BBVA-Gruppe bietet sie einen erheblichen Renditeaufschlag für direkt emittierte Anleihen. Angesichts ihrer soliden Fundamentaldaten halten wir diese Einschätzung für nicht gerechtfertigt.

Ebenso ist im Schwellenländeruniversum der Umgang mit politischer Volatilität wichtig und das Bewusstsein für politische Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft gehört hier ganz selbstverständlich dazu. Doch auch die DM werden immer stärker von politischen Faktoren beeinflusst. Des Weiteren agieren Unternehmen mit Sitz in den DM zunehmend global und für Anleger wird es daher wichtiger, ihre operativen Rahmenbedingungen genau zu verstehen. Auch hier ist die BBVA Group ein gutes Beispiel: Sie gilt zwar als DM-Emittent und hat ihren Hauptsitz in Spanien, erzielt jedoch rund 54 Prozent ihres Nettogewinns in Mexiko.

Trotz wachsender Annäherung gibt es nach wie vor Bereiche, in denen sich die Anlageklassen deutlich unterscheiden

Trotz wachsender Annäherung gibt es nach wie vor Bereiche, in denen sich die Anlageklassen deutlich unterscheiden. Doch in diesen Bereichen kann die Zusammenarbeit ebenfalls dazu beitragen, dass die Investmentteams voneinander lernen und ein breiteres Spektrum wesentlicher Einflussfaktoren berücksichtigen.

So haben idiosynkratische Ereignisse, die in der Regel EM betreffen, inzwischen häufiger globale Auswirkungen – auch auf Anleger in den Industrienationen. Beispielsweise führte der Zusammenbruch des chinesischen Immobiliensektors zu Zahlungs- und Kreditausfällen, die sich nahezu ausschließlich auf Asien konzentrierten. Doch die Auswirkungen auf Chinas Gesamtwirtschaft gingen weit über das EM-Universum hinaus. Ein fundiertes Verständnis des chinesischen Immobiliensektors war daher entscheidend für eine Einschätzung Chinas – ein Thema, das auch global von zentraler Bedeutung bleibt.

In Europa hat die Lage in der Ukraine weiterhin erhebliche Auswirkungen. Die jüngsten Entwicklungen haben die haushaltspolitischen Risiken und den Finanzierungsbedarf vieler Staaten unmittelbar beeinflusst und lassen DM und EM aufeinanderprallen. Die Folgen für die Bewertung der Anleihemärkte und deren Ausblick sind beachtlich.

Dennoch beobachten und steuern die meisten Investoren die Märkte der Industrie- und Schwellenländer weiterhin getrennt voneinander. Aus unserer Sicht sollten beide Anlageklassen zusammen betrachtet werden, was einen kontinuierlichen, engen Austausch zwischen den Investment-Desks erfordert.

Wechselseitiger Austausch für bessere Ergebnisse

Wenn Zinsen und Kreditmärkte zunehmend miteinander verflochten sind und sich EM und DM weiter annähern, können integrierte Teams Risiken besser steuern und Chancen gezielter nutzen.

Integrierte Teams können Risiken besser steuern und Chancen gezielter nutzen

Der Austausch von Informationen über Anlageklassen hinweg schafft die Grundlage für vorausschauende Investmententscheidungen. Gleichzeitig erweitert sich das Anlageuniversum und Portfolios gewinnen durch originelle Ideen außerhalb der Benchmarks an Tiefe.

DM-Prozesse zeichnen sich durch Skalierbarkeit, datenorientierte Präzision und klar strukturierte sektorale Inputfaktoren aus. EM-Teams können diese Ansätze übernehmen, um solidere Rahmen zu entwickeln. Wenn Teams über Anlageklassen hinweg zusammenarbeiten, verbinden sich komplementäre Stärken und tragen so zu Innovation und agilerem Portfoliomanagement bei.

Durch die Zusammenführung von IG-, HY-, EM- und DM-Perspektiven können sich Anleger Zugang zu neuen Renditechancen erschließen, risikobereinigte Erträge erhöhen und die Ideenvielfalt vergrößern. Dies geht über operative Effizienz hinaus: Es verändert die Denkweise. Das Aufbrechen traditioneller Einteilungen verbessert nicht nur die Zusammenarbeit, sondern eröffnet neue Wachstumspotenziale in einer immer stärker vernetzten Welt.

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